“Kick” mich

“Kick” mich

Ein neuer “Kick” muss her! Ein weiterer Einkauf auf Amazon, et voilà: Das Päckchen aufreißen und erneut ist es da, dieses erhebende Gefühl kurzlebigen Glücks. Anders bei gelebten Glücksmomenten. Glücksforscher sind sich darüber einig, dass Erlebnisse eher ein lang anhaltendes Glück in Aussicht stellen. Die Erklärung ist nicht weiter überraschend: Wohingegen bei materiellen Gütern der Gewohnheitseffekt über kurz oder lang zuschlägt, verhält es sich bei ideellen Gegenständen gerade umgekehrt. Eine schöne Erinnerung – sagen wir von einem gemeinsamen Wanderausflug mit Freunden – kann prinzipiell immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden, wodurch bereits erlebtes Glück nochmals und jederzeit wiederholt gefühlt werden kann.

In den sozialen Medien finden wir eine seltsame Verzahnung jener beiden “Varianten des Glücks” vor. Wir kaufen bei dem Online-Versandhandel unserer Wahl den letzten Schrei und erhalten nach Kaufabschluss die Möglichkeit, den getätigten Einkauf direkt bei Facebook, Twitter, Instagram und co. zu posten und mit unseren Freunden zu teilen. Noch bevor der DHL-Bote erwartungsvoll an unserer Tür klingelt, haben wir schon die ersten “Kicks” für unser Glückskonto eingeholt. Immerhin zog der Post die Aufmerksamkeit ganzer 33 Likes auf sich – ganz zu schweigen von den 17 Kommentaren darunter. Jeder Like ein kleiner “Kick” für unser Ego und als Selbstbestätigung, mit dem Einkauf ein gute – von der Community auch wertgeschätzte – Entscheidung getroffen zu haben.

Ließ sich trotz unzähliger Follower nie aus der Ruhe bringen: Buddha. Quelle: pixabay.com
Ließ sich trotz unzähliger Follower nie aus der Ruhe bringen: Buddha. Quelle: pixabay.com

Nicht anders ist es bei Erlebnissen: Natürlich wollen wir zunächst einmal die Bestätigung aller Freunde und Follower, dass es eine ganz schön harte Nummer war, dreimal hintereinander um den Prenzlauer Berg zu joggen – ganz nach der Devise: “Wow, bist ja ganz schön fit”, oder “Respekt! Ich hätte das nicht geschafft”, oder noch besser “Habe mir in letzter Zeit schon gedacht, dass du mehr Sport treibst. Man sieht es dir wirklich an (Bussismiley)”.


“Kick”, “Kick”, “Kick”: Das Konto füllt sich! Jeder Like, jeder Kommentar und jeder Hymnos auf die eigene Person avancieren zum kurzen Moment erlebten Glücks.

Dabei hatten wir den Wanderausflug in die bayerischen Alpen noch gar nicht gepostet. Welcher Berg war das gleich nochmal? Birkkarspitze? Guffert? Ach egal jetzt! Auf jeden Fall ging es mehrere Stunden ganz schön steil nach oben. Mehr als 1000 Höhenmeter! Das soll die Community erst einmal nachmachen. Nach so einem Post und so vielen Likes kann man sich gut und gerne zwei Wochen Post-Pause gönnen. Die Berge, die Täler, die Kühe, die Berghütten und schließlich das Essen sehen auf den Fotos wirklich phantastisch aus. Das Glückskonto wurde nun doppelt gefüllt. Einmal durch das Erlebnis selbst und durch die vielen Likes bzw. herzerwärmenden Emoticons, die diese Reise in die Berge für immer unvergesslich machen.

Wider dem Social-Media-Blues

Kein Wunder also, dass Soziale Medien durchaus unglücklich machen können: Internetsucht und die ständige Angst, etwas zu verpassen sind im World Wide Web längst keine Konstrukte mehr, sondern greifbare Realität. Der mittlerweile fast schon gängige Begriff “FOMO”, also die “Fear Of Missing Out“, steht dafür Pate. Eine italienische Forschergruppe hat die Beziehung zwischen Online- und Offline-Netzwerken und ihren Einfluss auf unsere Zufriedenheit analysiert. Das Fazit der Studie Online networks and subjective well-being: “Der Gesamteffekt von Onlinenetzwerken auf die einzelne Person und ihr Wohlbefinden ist kein sonderlich guter.”

Wer diesem Social-Media-Blues entkommen möchte, muss gar nicht so viel dafür tun. Dass die krampfhafte Steigerung weiterer Freunde und Follower nicht unbedingt glücklicher macht, ist ja schon beinah zur Binsenweisheit verkommen. Wer sich nicht vom “angeblichen” Glück anderer – überprüfen kann man die Posts ohnehin nicht – einlullen lassen möchte, sollte lieber ein bewusstes Netzwerken und Sozialisieren betreiben. Man könnte es gut in gerne mit dem Philosophenkaiser Mark Aurel halten: “Das Glück hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab.” Doch für unsere Gedanken sind wir immer noch selbst verantwortlich.

Eine neue Denke würde uns sicher nicht schaden: Vielleicht sollten wir in Zukunft weniger den kurzweiligen “Kicks” in den sozialen Medien nachjagen und doch mehr an unserem Zufriedenheitslevel arbeiten, indem wir wieder und wieder echte Mensch-zu-Mensch-Momente erleben, von deren positiven Erinnerungen wir ein ganzes Leben lang zehren können. Das scheint nach wie vor die beständigste Währung für unser Glückskonto zu sein. Ein Like ist viel zu kurzlebig, um dafür Leben zu wollen. Oder etwa nicht? Wer derselben Meinung ist, darf diesen Artikel gerne fleißig liken, teilen, kommentieren (Bussismiley).