Glück im digitalen Zeitalter: Wofür lebt man, wenn nicht für Likes?

Likes, Follower und ganz, ganz viele Freunde sind die Währung, mit der User in der digitalen Welt ihr Glückskonto aufladen können. Finanzielles und persönliches Glück wird stakkatoartig im Netz geteilt, positives Feedback und ein ständiges Mitteilungsbedürfnis werden subversiv als neue Formel von Glück propagiert. Muss man da mitmachen? Nicht unbedingt: Die Glücksforschung gibt einige wertvolle Tipps, wie man sich dem Social-Media-Blues doch noch entziehen kann.

Nach zwei Wochen Urlaub und Wlan-Losigkeit, endlich wieder Facebook und Instagram! Und siehe da: Da sind sie schon wieder. All diese glücklichen Duckfaces, die angeberischen Ich-habe-gerade-ganz-viel-Sport-gemacht-Posts und die vielen tollen Urlaubsfotos, auf denen meine Friends and Followers ihre lächelnden Gesichter präsentieren – auf der Suche nach mehr Likes und nichtssagendem Lob: wie wunderbar es doch bei meinen semivirtuellen Freunden sei, in welch schöner Landschaft sie sich wieder bewegen, und überhaupt, wie hübsch sie alle schon wieder aussehen.

Wer sich zu lange auf Facebook, Instagram und co. verliert und über die Walls seiner Freunde mäandert, bekommt nicht selten dieses unterschwellige Minderwertigkeitsgefühl. Warum läuft es bei mir nicht so knorke wie bei Dörte? Warum ist Jörg schon wieder auf einem Berg? Und woher, verdammt noch mal, bekommt Ole die ganze Kohle?

Warum erleben immer nur die anderen so tolle Sachen? Oder war da dann doch Photoshop im Spiel? Quelle: pixabay.com
Warum erleben immer nur die anderen so tolle Sachen? Oder war da dann doch Photoshop im Spiel? Quelle: pixabay.com

Warum? Nun ja, für die naheliegende Erklärung hätte man keine Wissenschaftler bemühen müssen. Akademische Untersuchungen gibt es zuhauf und fest steht: User sozialer Medien teilen im Netz i.d.R. mehr die Highlights ihres Lebens und weniger ihren alltäglichen Quatsch. Das erweckt den Eindruck, das Leben aller anderen Bekannten sei viel aufregender – und damit vielleicht auch glücklicher – als das eigene.

Tief drinnen ahnen wir es natürlich. Diese Momentaufnahmen können doch nicht Abbild persönlichen Glücks und Zufriedenheit sein. Oder etwa doch? Macht jedes geteilte Erlebnis glücklicher? Muss jede Gipfelbesteigung mit wehenden Fahnen im Netz geteilt werden, damit die Community uns bestätigt, dass unser Erlebnis in der Tat ein Glückliches war? Die Folge davon lautete dann natürlich, dass im Grunde jeder Bullshit zum Ausdruck erlebten Glückes werden kann. Und in der Tat: Soziologisch gesehen ist Glück ja erstmal nichts anderes als eine subjektive Empfindung.

“Glück” per definitionem

Jedoch ist das nur die halbe Wahrheit. Für Glücksforscher ist Glück natürlich mehr als nur ein subjektiv gefühltes, positives Empfinden über einen kurzen Zeitraum hinweg. In der Soziologie wird allgemein zwischen dem Zufallsglück (engl: luck) und dem Lebensglück (engl: happiness) unterschieden. Wenngleich das Zufallsglück einen Einfluss auf das Lebensglück hat, steht es doch nicht im Fokus der Glücksforschung. Der Soziologe Gerhard Schulze unterscheidet zwischen zwei Arten von Glück. Unter „Glück 1“ versteht er die Freiheit von Leid und Mangel. „Glück 2“ – gemeint ist damit das schöne Leben – baut logischerweise darauf auf. Schulzes prägnanteste Frage hat bis heute nichts an ihrer Strahlkraft verloren: “Wofür lebt man, wenn nicht für das schöne Leben?”

Für mehr Likes? Wohl kaum! Bei allen Differenzen und Unterschieden, die die verschiedenen Disziplinen und Ansätze der Glücksforschung hervorbringen – zu nennen wären die philosophische, physiologische, psychologische, ökonomische, sozialwissenschaftliche, experimentelle und die angewandte Glücksforschung – lassen sich doch einige grundlegende Erkenntnisse herausschälen. Allgemein wird zwischen kurzweiligen Glück in Form eines “Kick-Gefühls” und lang anhaltendem Glück im Sinne eines steten Zufriedenheitslevels unterschieden.

Hätte Sören keine Granatapfelkerne genommen, wäre es eine ganz normale Mahlzeit geworden. 14 Freunde gratulieren ihm später zur erfolgreichen Nahrungsaufnahme. Quelle: pexels.com
Hätte Sören keine Granatapfelkerne genommen, wäre es eine ganz normale Mahlzeit geworden. 14 Freunde gratulierten ihm später zur erfolgreichen Nahrungsaufnahme. Quelle: pexels.com

Macht der Gewohnheit

Das kann jeder Mensch relativ einfach an sich selbst beobachten: Wenn uns etwas “Glückliches” widerfährt, dann fühlen wir uns im Moment tatsächlich besser. Allerdings empfindet man dieses kurze Glücksgefühl unabhängig davon, wie zufrieden man im Allgemeinen ist. Und selbst das Zufriedenheitslevel verläuft mehr sinuskurvenartig als stringent gerade. In diesem Kontext ist besonders entscheidend: Ein gekauftes Produkt – sagen wir eine neue Armbanduhr – verleiht dem Konsumenten ein kurzweiligeres Glück als ein gemeinsames Erlebnis mit anderen Menschen – sagen wir ein Ausflug ins Grüne.

Die Erklärung klingt schlüssig: Der Kauf eines neuen Autos, einer neuen Uhr oder eines neuen Wandteppichs machen ganz klar glücklich. Jeder kennt den erhabenen Moment, in dem man das neu gekaufte Produkt zum ersten Mal trägt und voller Stolz die (erhofften) Lobpreisungen seiner Mitmenschen erwartet. Doch nach kurzer Zeit stellt sich – wie bei einer Gehaltserhöhung übrigens auch – der sogenannte Gewöhnungseffekt ein. Auf gut deutsch: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Bei jedem weiteren Tragen, Benutzen, Herzeigen der neuen Armbanduhr erscheint sie weniger spektakulär. Das empfundene Glück dezimiert sich peu à peu, inkrustriert langsam aber sicher, verflüchtigt sich im Äther des Vergessens und wird schlichtweg zur Gewohnheit.

Was ein „Kick” mit einem „Klick” zu tun hat, lest ihr auf Seite 2.