Start-Ups: Auf dem Weg in die Kultur der Beliebigkeit

Kaum eine Branche steht so sehr im Fokus wie die allseits proklamierte “Gründerszene”. Entrepreneurship gilt als Wert an sich, als Kitt einer digitalisierten Wirtschaft. Doch haben die digitalen Pioniere auch die Substanz dafür, oder begehen wir gerade kollektiven Selbstbetrug?

Beta Republik Deutschland. Auf ihrem vergangenen Parteitag erhob die FDP die Gründerkultur als erste Partei auf die politische Agenda – und kultivierte nebenbei (sorry liebe Liberale, aber das ist nun mal der korrekte Terminus) das Deppenleerzeichen, indem sie die Betarepublik in der oben genannten Schreibweise ausrief. Das ist aber nicht weiter schlimm, schließlich geht es ja darum, unsere Wirtschaft in ein neues, hippes Gewand zu kleiden, da schadet eine kleine Anlehnung an die T9-Grammatik unserer Smartphones genauso wenig, wie die Besetzung der neuen Begriffe des digitalen Zeitalters. Gründergeist, Kultur des Scheiterns, disruptive Geschäftsmodelle, Steve Jobs, das “Valley”, usw. – es gibt unzählige Trigger, um das Gründerherz zum Leuchten zu bringen.

Allein die Wahl der Begrifflichkeit im neuen liberalen Programm bedeutet einen Paradigmenwechsel. Beta, das bedeutet ständige Erneuerung, Trial-and-Error, schneller Release statt ewige Produktreife. Beta ist verrückt, Beta ist gewagt, ist wild und riskant. Einfach mal machen, statt ewig am Reisbrett sitzen, so soll demnach unsere ökonomische Zukunft aussehen. Tolle Worte, mit denen sich auch wunderbar ein Artikel in einem digitalen Magazin wie diesem füllen ließe, ohne im Grunde etwas Neues sagen zu müssen.

Denn die traurige erste Wahrheit über die hiesige Start-Up-Szene ist auch: mitreden kann jeder, und das nicht allzu schlecht. Das Rüstzeug in Form eines Leuchtens in den Augen, dem richtigen Vokabular und eines einigermaßen leistungsfähigen Mac-Books ist schnell erworben, in einem der zahllosen Entrepreneurship-Seminare auf deutschen Universitäten gibt es zusätzlich das nötige Basiswissen in Form von SWOT-Analysen, um als Gründer durchzustarten. Wer mit Vertretern der Gründerszene spricht, stößt auch leider allzu häufig auf diese immergleichen Phrasen, die sich zumindest im Grenzbereich zwischen Wirtschaft und Esoterik bewegen. Es sind Phrasen, die ein Muster haben: selten geht es um das Produkt eines Unternehmen, sondern meist um das “Business” selbst, um Geschäftsmodelle, Skalierbarkeit, Finanzierung, “Spirit” und den oft ersehnten Exit, also den Verkauf des hoffentlich in ein paar Jahren erfolgreichen Unternehmens. Das Produkt rangiert eher auf den hinteren Plätzen im Prioritätenset vieler Gründer. Das verleitet zu einem Verdacht: sind die Vertreter unserer Gründerszene gar keine genialen Garagentüftler, sondern allesamt im Mikroökonomieseminar gestählte Unternehmensberatertypen?

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Bildquelle: Flickr CC / Liberale

Gründen als Selbstzweck

Der Wunsch nach Selbstständigkeit ist unter den deutschen Studierenden heute ausgeprägter als früher. Das liegt zum einen daran, dass die beruflichen Möglichkeiten nach dem Abschluss heute keineswegs so sicher sind wie noch vor ein paar Jahrzehnten. Wo bisher ein Studium, egal welcher Art, eine fast sichere Eintrittskarte in eine erfolgreiche Karriere darstellte, ist es heute weit schwieriger, einen Job zu ergattern. Warum also nicht gleich selbst etwas auf die Beine stellen?

Als weiterer, nicht zu unterschätzender Punkt, gelten heute die viel niedrigeren Zugangsbarrieren in die Selbstständigkeit: oft reichen eine Idee und ein Laptop, schon kann das Start-Up loslegen. Dass die zweite These nicht ganz falsch sein könnte, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Die deutliche Mehrheit der Start-Up-Unternehmen ist laut dem letzten “Start-Up-Monitor” der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in den Bereichen Softwaredienstleistungen, E-Commerce-Plattformen, Onlinemarktplätze, oder in ähnlichen Sektoren beheimatet. Die Start-Up-Pioniere bewegen sich also – verständlicherweise – in einem Metier, das sie verstehen und in ihrer Rolle als Konsument kennengelernt haben: in der Welt der Online-Lieferdienste, Schuh-Shops und Organizer-Software, in der die eigene Plattform nur um eine Nuance effektiver sein muss als die vorausgegangene der Konkurrenz. Dass ein Online-Shop dabei getrost die Kopie eines anderen sein darf, ist selbstverständlich. Effektivität geht meist vor Originalität. Die Identifikation mit dem eigenen Produkt ist niedrig, Monetarisierung und Wachstum sind dagegen die dominanten Faktoren. In den Finanzierungsplänen der Venture-Capital-Unternehmen, die laut KPMG-Studie bei immerhin einem Fünftel der Start-Ups als Investoren aktiv sind, ist die Exit-Phase fester Bestandteil des Finanzplans. Wer sich als Gründer für diese Art der Fremdfinanzierung entscheidet, darf also nicht zu sehr an seiner Geschäftsidee hängen.

Der Grund für die oft sehr utilitaristischen Geschäftsmodelle ist im Alter des Typus “Gründers” zu suchen, der oft schon während seines Bachelorstudiums sein erstes Unternehmen auf die Beine stellt und dadurch nur bedingt Experte in einer über Jahrzehnte gewachsenen Branche wie der fertigenden Industrie oder dem Maschinenbau sein kann. Echte technische Neuerungen brauchen hingegen Know-How, teure Prototypen, hohe Eingangsinvestitionen und nicht selten das akademische Rüstzeug in Form eines Doktortitels, um bahnbrechenende Neuerungen herbeizuführen. Substanz braucht Ausdauer. Für hochqualifizierte Fachkräfte vor allem aus technischen Studiengängen sind außerden die lukrativen Gehälter in DAX-30-Unternehmen ein weiterer Hinderungsgrund, den Gang in die Selbstständigkeit überhaupt nur zu erwägen. Es ist also völlig natürlich, dass Start-Ups eher von jungen, ambitionierten Persönlichkeiten aus den “weichen” Studienfächern gegründet werden – zu Lasten von Substanz und Expertise in der Start-Up-Szene insgesamt.