Alle Zutaten der Welt

Alle Zutaten der Welt

Bernard Lahousse hat sich das Ziel gesetzt, alle Zutaten der Welt zu entdecken. Technisch gesehen ist das nur möglich, wenn man jede individuelle Zutat auf molekularer Ebene analysiert. Wenn alle Aromen, Geschmäcker und Texturen eines beliebigen natürlichen Stoffes erst einmal lokalisiert und rubriziert sind, vollbringen die Algorithmen Erstaunliches. Auf der Grundlage dieser Aroma-Profile – Schlagwort: Big Food Data – errechnen spezielle Algorithmen mögliche Synergien zwischen Geschmäckern unerwarteter Inhaltsstoffe. Natürlich können auf Wunsch Faktoren wie Saisonalität, Lokalität und Herstellungsmethoden in diese Rechnung einbezogen werden.

Beluga war gestern: Die Segnungen der Molekular-Küche können beinah alles in eine edle Form gießen. Quelle: pixabay.com
Beluga war gestern: Die Segnungen der Molekular-Küche können beinah alles in eine edle Form gießen. Quelle: pixabay.com

Die kulinarischen Möglichkeiten, die Foodpairing verspricht, scheinen schier unendlich zu sein: Die Bandbreite verschiedenster Aromen in einzelnen Lebensmitteln ist gewaltig. Jede Zutat weist zu einem gewissen Grad bittere, süße, saure, salzige, blumige und fruchtige Noten auf. Das schafft natürlich völlig neue Anreize, besonders für eine rein vegetarische Küche. Wer Gemüse und Obst gewagter und ausgefallener kombiniert, kommt zu völlig unerwarteten Geschmackserlebnissen.

Lahousse erklärt das Foodpairing-Konzept folgendermaßen: „Es bedeutet, dass Speisen und Getränke aufgrund übereinstimmender Schlüsselaromen zusammenpassen. Dafür werden im Labor einzelne Zutaten mittels Gaschromatografie in ihre einzelnen Aromen aufgeschlüsselt und miteinander verglichen. Je mehr Übereinstimmung in den Schlüsselaromen, desto besser passen sie zueinander.“

Fairerweise muss man einräumen, dass die größten Bewunderer und Unterstützer des Foodpairings und seiner Methoden nicht unbedingt aus einer Ecke kommen, die darauf abzielt, globalen Problemen wie dem Welthunger oder der Überfischung der Weltmeere zu begegnen. Die ursprünglich für Küchenchefs entwickelte Methode erfreut sich besonders unter Bartendern steigender Beliebtheit. Der Mode-Drink Poquito Piqante im New Yorker Pegu Club kombiniert Koriander, Gurke, Jalapeno, Gin und Cointreau. Der Whiskey Sour von Tony Conigliaro in der Londoner Bar 69 Colebrook paart sich mit Lakritze. Ob lecker oder nicht, ein neuer exklusiver Cocktail ist nicht zwingend das, was der Welt noch gefehlt hat.

Wer einen Foodpairing-Cocktail probieren möchte, muss keineswegs nach London oder New York reisen. Die illustren Häuser Le Lion in Hamburg und die Goldene Bar in München kredenzen ebenfalls derartige Mode-Drinks. Quelle: pixabay.com
Wer einen Foodpairing-Cocktail probieren möchte, muss keineswegs nach London oder New York reisen. Die illustren Häuser Le Lion in Hamburg und die Goldene Bar in München kredenzen ebenfalls derartige Mode-Drinks. Quelle: pixabay.com

Im Grunde bedeutet Foodpairing, dass Speisen und Getränke aufgrund übereinstimmender Schlüsselaromen neu kombiniert werden. Anregungen für neue Cocktailrezepturen in allen Ehren – man würde sich dennoch freuen, in Zukunft mehr neue Rezepte à la Franzosendorch aus den avantgardistischen Methoden des Foodpairings zu erhalten. Die Technik scheint ja ein gewisses Potenzial zu haben, die Nahrungvielfalt der Erde in ihrer Gänze zu nutzen und ein nachhaltigeres Konsumverhalten schmackhaft zu machen.

Nahrungsmittel avancieren zu Hightech-Produkten

Die Schlussfolgerung ist nicht übertrieben: Mit Nahrungsmitteln passiert das Gleiche, was zuvor mit Fernsehern, Telefonen, Autos und Wohnungen passiert ist: Schritt für Schritt avancieren auch sie zu Hightech-Produkten. Algorithmen untersuchen Hunderttausende von Pflanzenarten auf der Suche nach Proteinen und Enzymen, die herausgefiltert und völlig neu kombiniert werden, sodass bislang unbekannte Lebensmittel entstehen. An die Stelle von Köchen, die neue Rezepturen entwickeln, treten IT-Maschinen und Informatiker, die sie ausprobieren, verfeinern oder auch wieder verwerfen.

 

Wenn man den Berechnungen des New Yorker Fachblog Food + Tech Connect Glauben schenken darf, dann strömen jeden Monat neunstellige Dollar-Beträge in innovative Ideen rund ums Essen der Zukunft. Bill Gates und Jerry Yang investierten unlängst in das hühnerlose Ei der Firma Hampton Creek. Sergey Brin ist federführender Geldgeber für den ersten Labor-Burger, der rein aus Stammzellen gezüchtet wird. Biz Stone unterstützt ein Start-Up-Unternehmen, das sich auf die Herstellung veganer Ersatzprodukte für Fleisch spezialisiert hat. Peter Thiel sponsort unlängst das Berliner Jungunternehmen “Eating with the Chefs”, dessen Geschäftsmodell, darauf basiert, Luxusgerichte von Sterneköchen auch für den kleinen Mann erschwinglich zu machen.

Neue Nahrungsmittel: Der Griff nach dem großen Geschäft – Die Namen der Investoren lassen keinen Zweifel daran. Quelle: pixabay.com
Neue Nahrungsmittel: Der Griff nach dem großen Geschäft – Die Namen der Investoren lassen keinen Zweifel daran. Quelle: pixabay.com

In urkapitalistischer Manier entsteht also derzeit eine gewaltige Industrie, deren Pioniergeist darauf abzielt gesündere, billigere und ethisch vertretbarere Lebensmittel herzustellen. Die Namen der Investoren lassen aufhorchen. Wenn einflussreiche Big Player wie Microsoft-Ikone Bill Gates, Yahoo-Gründer Jerry Yang, Google-Pionier Sergey Brin, Twitter-Erfinder Biz Stone, oder Facebook-Milliardär Peter Thiel dazu bereit sind, ihre Millionen großzügig zu streuen, dann darf man getrost Gift darauf nehmen, dass dieses neue Hightech-Essen von morgen im Prinzip schon längst unter uns weilt.

Nur der Informatiker in den Küchen unserer Lieblingsrestaurants lässt bislang auf sich warten. Fragt sich nur noch: Wie lange?