“Hör auf! Hör auf! – Ich lösch auch gleich alles wieder!”

“Hör auf! Hör auf! – Ich lösch auch gleich alles wieder!”

“Hör auf! Hör auf! – Hör auf! Mann! Ein Foto reicht!”

Gina-Lisa sagt darauf “Nein” zum Filmen doch auch zu sexuellen Handlungen, die dann nolens volens aufgegeben werden. Mal wirkt Lohfink genervt: Einer der beiden Männer nähert sich, scherzt, baggert, versucht sie zu küssen, doch sie schiebt ihn weg und streckt ihm den Mittelfinger entgegen. Dann nähert er sich von der anderen Seite des Bettes mit denselben Avancen und sagt: “Dein Gesicht ist bombe.” Die Reaktion: Gina-Lisa lächelt.

Andere Szenen manifestieren die Widersprüchlichkeit nur noch mehr. Gemeint sind Szenen, in denen die Verurteilte sich dagegen wehrt, dass ihr ein Penis in den Mund geschoben wird, Ausschnitte, in denen sie abwechselnd von beiden Männern penetriert wird, Sequenzen, in denen sie klar und deutlich Nein sagt, als an ihren Haaren gezogen, ihr Hals gewürgt wird oder ihre Brüste geschlagen werden. Dann wiederum erscheinen Bilder, in denen sie schläft, Alkohol trinkt, lacht, tanzt und mitsingt, während im Hintergrund Hip-Hop von Sido läuft. Doch fehlen Szenen, in denen Gina-Lisa laut wird oder gar die Wohnung verlassen will, aber auch Sequenzen, in denen sie Gefallen äußert oder Gemachtes initiiert.

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Die zur Beweisführung beschlagnahmten Bewegtbilder sind alles andere als eindeutig. Fest steht, dass die beiden Verurteilten einen Vergewaltigungsporno gedreht haben, um ihn gewinnbringend zu verkaufen. Quelle: pixabay.com

Das Gericht musste aufgrund dieser Faktenlage prüfen, ob der Sex einvernehmlich war. Laut Gesetz war er das, solange Gina-Lisa nie in einer schutzlosen Lage war. Das war sie nicht. Zumindest gibt es dafür keine Beweise. Dennoch war auch der Richterin und Staatsanwältin klar, dass hier offensichtlich versucht wurde, einen Vergewaltigungsporno zu drehen – bedauerlicherweise ein Genre, das auf großen XXX-Plattformen wie YouPorn und PornHub frequentiert wird. Ermittelte SMS und E-Mails belegen, dass die beiden Männer genau das beabsichtigt hatten. Man wollte steile Bilder produzieren, die man gewinnbringend verkaufen konnte.

Einvernehmlicher Sex?

Am letzten Verhandlungstag zog Verteidiger Burkhard Benecken das Attest einer Frauenärztin aus seiner Aktenmappe, das die Ermittlerin des Landeskriminalamts schon 2012 eingefordert hatte. Lohfink hatte behauptet, diese sei vom Anblick ihrer Wunden “geschockt” gewesen. Richterin Ebner verliest den Untersuchungsbefund der Gynäkologin: ”Keine frischen oder älteren Hämatome, keine Kratzspuren, keine Verletzungen.”

Der toxikologische Gutachter Torsten Binscheck-Domaß von der Berliner Charité erkannte Null Hinweise auf den Einsatz von K.O.-Tropfen: “Die Frau Staatsanwältin und ich kennen Videos, in denen nachweislich K.O.-Tropfen verabreicht wurden, in denen sieht man bewusstlose Frauen, die wie Gummipuppen rumgeschleppt werden. Die können nicht tanzen und rauchen und sprechen, die können nicht ihre Managerin anrufen und Pizza essen.” Alles Dinge, die Lohfink im fraglichen Zeitraum getan hat – wenn man den Videoaufnahmen Glauben schenken darf.

Die Ungereimtheiten überschlugen sich: In der ersten Strafanzeige hieß es, es habe “einvernehmlichen” Sex gegeben. Dann die zweite Nacht, die sie nach der angeblichen Vergewaltigung nochmal mit ihrem angeblichen Peiniger verbrachte. Das Telefonat, das Lohfink von der Wohnung aus führte, in der sie angeblich noch immer festgehalten und bedroht wurde. Das Telefonat, in der sie der Managerin mitteilte, sie esse noch eine Pizza und werde dann kommen. So fragte die Staatsanwältin Gögge: “Wenn sie Gelegenheit hat zu telefonieren, wieso wählt sie dann nicht die 112?”

Für “einvernehmlichen Sex” sprechen auch die Textnachrichten, die Gina-Lisa Lohfink nach der Nacht, in der sie vergewaltigt worden sein soll, an Pardis F. geschickt hat: “Geht’s dir gut? Ich vermisse dich”. Und: “Würde jetzt so gerne in deinen Armen einschlafen. Kuss”.

Rechtsanwalt Burkhard Benecken hielt auch dafür eine passende Antwort parat: Gina-Lisa Lohfink habe erst einige Tage nach der umstrittenen Nacht das Video gesehen, “auf dem ihr entgegenstehender Wille durch Nein-Rufe und Hört-auf-Aussagen dokumentiert” sei. Erst zu diesem Zeitpunkt sei seiner Mandantin überhaupt bewusst geworden, was ihr die beiden Männer angetan hätten. Gina-Lisa Lohfink gab vor, in der infrage stehenden Nacht einen Filmriss gehabt zu haben. Dieser Logik folgend, ließ sie es sich auch nicht nehmen, Bundesjustizminister Heiko Maas persönlich zu ihrem Prozess einzuladen, damit er sich ein Bild machen könne, “wie in der Praxis mit Rechten von Opfern sexueller Gewalt umgegangen wird”.

Ein paar Wochen nach dem Schuldspruch trägt Gina-Lisa Lohfink im Rahmen einer Kunstperformance in schwarzer Trauerkluft ihre Privatsphäre zu Grabe – sie, die selbst Telefonnummern von Boulevardreportern im Handy gespeichert hat, um anzurufen, falls ein entsprechender Event es zulässt: wie an dem Abend, an dem sie zufällig Jérôme Boateng begegnete. Mal wieder ein Inszenierung. Doch diesmal vielleicht eine, die an der Realität gar nicht soweit vorbei zielte.

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Nicht nur Lohfinks Privatsphäre wurde “zu Grabe getragen”. Quelle: pexels.com

Privatleben vs. Medienbusiness

Wenn man ehrlich ist, dann hatte Lohfink für einen Prozess mit übersteigerter Medienaufmerksamkeit denkbar schlechte Voraussetzungen. Ihre beruflicher Karrieregang wurde ihr immer wieder aufs Brot geschmiert, obwohl völlig klar ist, dass das eine – ihr IT-Girl-Status – nichts mit dem anderen – einer möglichen Vergewaltigung – zu tun hat. Ihre Teilnahme an der “Erotikmesse Venus” wurde ebenso lauthals artikuliert wie ein älterer Werbespot in dem sie höhnisch fragte: “Wer ist die Billigste im ganzen Land?” – ein Spot übrigens, den der Werberat verurteilte, da er Frauen als “leicht verfügbar” denunziere.

Überhaupt ließen Journalistinnen und Journalisten ihrer Phantasie freien Raum, wenn es um die nächste spritzige Bezeichnung ging, dem Phänomen Gina-Lisa beizukommen: “Partygirl”, “Reality-Sternchen”, “vollbusige Blondine“, “das sogenannte It-Girl” usw. – nicht gerade hilfreich.

Selbstverständlich sollte es in einem Prozess um Vergewaltigung egal sein, womit eine Frau ihr täglich Brot verdient. Angewidert von den Abgründen der Promiwelt, protokollierten Beobachter aus dem akademischen Spektrum minutiös die Nagellackfarben von Lohfink. Wo da der journalistische Mehrwert sein soll, weiß kein Mensch. Fairerweise muss man jedoch einräumen, dass Lohfink und ihr Team nicht nur von außen künstlich inszeniert wurden, sondern fleißig dazu beigetragen haben, den Prozess zu einer bühnereifen Farce verkommen zu lassen.

Verloren haben am Ende alle Beteiligten: Gina-Lisa Lohfink muss künftig als Musterbeispiel für falsche oder fragwürdige Vergewaltigungsklagen herhalten. Die Stilisierung zur großen Feministin und Vorkämpferin, die nun zerbrochen scheint, hätte auch in ihrem Interesse nicht sein müssen. Ihr Privatleben wurde viel zu sehr Gegenstand des Prozess – ein Vorwurf der zwar auch sie selbst trifft, jedoch hat die Presse niemand gezwungen, eine ernste Thematik mehr als Reality-Show aufzufassen. Die vielen veröffentlichen Details der Sex-Videos stellen für niemanden einen willkommenen Eingriff in die Intimsphäre einer Privatperson dar – so prozessrelevant sie auch gewesen sein mögen.

Sexismus und Rechtsstaat

Alice Schwarzer und Lohfinks Anwalt benennen die eigentliche Lektion dieses Urteils so: Der Ausgang des Prozesses sei eine Warnung an Frauen, sich bei Sexualdelikten lieber nicht an die Gerichte zu wenden. Das ist natürlich überzogen, im Grunde völlig falsch und schadet enorm. Überhaupt ist mit dem lauthals artikulierten Vorwurf, dass sowohl Staatsanwältin und Richterin einer patriarchalischen Justiz gehörig sind, deren tief verwurzelter Sexismus gar nicht befähigt sei, Vergewaltigungsopfern Recht zu verschaffen, mehr als haltlos. Chemtrails, der Mottenmann und andere Verschwörungstheorien lassen grüßen.

Doch wie ist denn um den angeblich sexistischen Rechtsstaat bestellt, dessen Sexualstrafrecht als “zu zahnlos” diffamiert wurde. Fakt ist: Die Zahl der Sexualdelikte sinkt in Deutschland seit Jahren kontinuierlich. Das Sexualstrafrecht wurde in den vergangenen 20 Jahren mehrfach modifiziert. 2009 griff sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein und zog der deutschen Regelungen zur Sicherungsverwahrung die Zähne.

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Falsche Verdächtigungen machten 2015 lediglich 0,3 Prozent aller polizeilichen Ermittlungsfälle aus: Kein Grund, sich nicht an deutsche Gerichte zu wenden. Quelle: pixabay.com

Die Warnung an Frauen, sich bei Sexualdelikten lieber nicht an die Gerichte zu wenden, ist blanker Hohn. Im Jahr 2015 fanden bei über sechs Millionen registrierten Straftaten bloß 519 Ermittlungen wegen “Vortäuschens einer Straftat” statt, und die “falsche Verdächtigung” machte gerade 0,3 Prozent der polizeilichen Ermittlungsfälle aus. Alice Schwarzer und Lohfinks Anwalt sollten lieber darauf verweisen, worauf es bei einer Vergewaltigung wirklich ankommt: Zum Arzt gehen und zwar unmittelbar. So grauenhaft das auch sein mag, nur so kann ein Mediziner jene Verletzungen, Mikrowunden und DNA-Spuren dokumentieren, die potenzielle Täter vor Gericht zweifelsfrei überführen.

Was am Ende bleibt

Wenn der Fall Gina-Lisa eines lehrt, dann doch dies: Vergewaltigungsfällen ist juristisch schwer beizukommen, wenn die Faktenlage uneindeutig ist. Der Rechtswissenschaftler und Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, Thomas Günther Otto Fischer stellt in seiner ZEIT-Kolumne hierzu fest:  “Wir reden über problematische, unklare, ambivalente Beziehungen, über Alkohol- und Drogenkonsum eines oder beider Partner, über Versöhnungen und Pseudo-Versöhnungen, Streitereien und Aggressionen. Wir reden nicht über Vertragsverhandlungen zwischen zwei Rechtsanwältinnen, sondern über eine unendliche Vielfalt von Möglichkeiten zur Unklarheit, zum Ärger und zum Missvergnügen, überlagert von emotionaler Betroffenheit, Erregung, Affekt.”

Auch sein Kollege der ZEIT-Journalist Heinrich Wefing erkennt keinen Mehrwert für eine Reform des Sexualstrafrechts: “Der Fall Lohfink trägt nichts dazu bei, gar nichts. Er beweist auch nichts, weder die Verschlagenheit von Frauen noch die Frauenfeindlichkeit der Justiz. Er zeigt allenfalls, wie verloren manche Menschen sind.”

Alice Schwarzer wird unterdessen nicht müde, das Urteil einen “Skandal” zu nennen: Es sei unübersehbar “dass die beiden Männer extrem verächtlich und brutal mit der Frau umgegangen sind”. Das haben die Richterin und die Staatsanwältin aber auch niemals bestritten. Die leitende Kriminalbeamtin stellte fest: “Man möchte sich selbst nicht so sehen” Pardis F. und Sebastian C. haben sich niederträchtig und schäbig verhalten, doch vom Vorwurf der Vergewaltigung wurden sie freigesprochen.

Die beiden Männer haben Lohfink benutzt, um ein Skandalvideo anzufertigen. Dann hat Lohfink die beiden Männer benutzt, um einen skandalösen Prozess zu führen, der viel zu sehr in der Öffentlichkeit und in sozialen Medien geführt wurde als dort, wo derartige Fälle verhandelt gehören: Im Gerichtsgebäude – so langweilig das auch klingen mag.