Frisches Gemüse das niemals Sonne sieht

Frisches Gemüse, das niemals Sonne sieht

Die Londoner Firma Growing Underground forciert in stillgelegten Tunneln und Bunkeranlagen den Gemüseanbau von Petersilie, Brunnenkresse und Rucola. Die Gärtner arbeiten dort nicht im Freien, sondern in bis zu 33 Metern Tiefe unter der City – ohne Harke und ohne Pflug. Auch im Großraum Tokio gehören Hightech-Gewächshäuser unlängst zum Stadtbild. Der im Reinraum angebaute Mangold und Spinat müsste vor dem Verzehr nicht einmal gewaschen werden.

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Gestapeltes Gemüse im Reinraum: spart Platz, Wasser und besonders Pestizide. Bildquelle: wikipedia.org

Das City-Farming liefert uns jedenfalls ganz neue Bilder, mit denen wir uns früher oder später auseinander setzen müssen. Martin McPherson, ein Pionier auf diesem Gebiet, präsentiert unweit von York eine neue agrokulturelle Welt voller Möglichkeiten. Tief unter der Erde werden der Salat, der Basilikum und die Erdbeeren nicht neben-, sondern übereinander angebaut. Dieser stapelbare Acker ließe sich beliebig hoch bauen. Rotes, weißes und blaues Licht aus den LDS von Philips versorgen die Pflanzen zuverlässig und beständig mit Licht. Die Kultivierung und die Ernte werden somit komplett vom Wetter unabhängig. Jede Großstadt könnte ihr Gemüse somit in Zukunft selbst anbauen – die Frage nach der Herkunft würde letztendlich obsolet. Gegenüber der ZEIT brachte McPherson die Vorteile seiner Experimente auf den Punkt: „Verglichen mit konventionellen Erträgen vom Feld, können wir hier die Ernte vervielfachen. (…). Wir können Gemüse schneller oder langsamer wachsen lassen, die Pflanzen kleiner oder größer machen, ihre Farbe beeinflussen und den Nährstoffgehalt verändern.

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Das galt früher wie heute: In agrarischen Betrieben – Bio oder nicht – wird hart und lange gearbeitet. Bildquelle: wikipedia.org

Den “glücklichen” Bauernhof hat es nie gegeben!

Darin liegt die große Stärke der Innenstadtfarmen: Da der Anbau i.d.R isoliert von Umwelteinflüssen stattfindet, kann auf Pestizide komplett verzichtet werden. Ernteausfälle gibt es im Grunde nicht, zumindest solange die Technik mitspielt. Sonnenlicht ist für das City-Farming von morgen keine Voraussetzung mehr. Zugegeben: Das hat wenig mit gutbäuerlicher Gartenbau- und Landwirtschaft zu tun. Doch ist es nicht an der Zeit, sich von den romantischen Vorstellungen endlich zu verabschieden? Den “glücklichen” Bauern, der jeden Tag in der Sonne sein “glückliches” Gemüse streichelt, hat es ohnehin nie gegeben und es grenzt beinah an Zynismus, solche Vorstellungen in einer hungernden Welt weiterhin zu propagieren. Wer selber einmal in einem landwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet hat – egal ob Bio oder nicht –, der weiß: dort geht es dreckig zu. Auf große Maschinenungeheuer kann kaum verzichtet werden. Und selbst wenn, fest steht: es wird hart und lange gearbeitet. Das agrarische Bild von „Blut, Schweiß und Tränen“ mag überzogen sein, doch es trifft die Realität bei Weitem mehr, als die trügerische Imagination von Sonnenschein, Glück und Kinderfreude auf dem netten Bauernhof.

 

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Weniger romantisch, dafür nachhaltig: Wer wirklich “hip” sein will, könnte ja zur Abwechslung zum Container-Gemüse seiner Stadt greifen. Das Gemüse muss nicht zwingend im Reinraum wachsen, um regional und bio zu sein. Bildquelle: wikipedia.org

Monokausalität ist zum Scheitern verurteilt

Welthunger ist nunmal ein Thema, das uns alle angeht. Wer will bitteschön behaupten, dass Nahrungsmittelunterversorgung nicht einer der treibenden Faktoren von Krieg, Elend und Flucht darstellt. Natürlich ist auch längst nicht ausgemacht, dass das City Farming, Big Data und Algorithmen die alleinige Lösung des global weit verzweigten Welthungerproblems suggerieren. Allein schon deshalb, weil die Ursachen nicht nur ökonomischer, sondern auch kultureller, politischer, gesellschaftlicher Natur und multidimensional stark verästelt sind. Kurzum: Monokausale Erklärungsversuche und Lösungsansätze sind zum Scheitern verurteilt.

Dennoch muss man einräumen, dass diese neuen Techniken und Anbaumethoden Wege beschreiten, die das ein oder andere Problem sehr wohl zu lösen versprechen. Derzeit ist das “Teufelszeug” Glyphosat in aller Munde. Das City-Pharming kann sämtliche Fragen, die die handelsüblichen Herbizide, Fungizide und Insektizide tangieren, getrost ad acta legen. Im Reinraum gibt es weder Insekten noch Bakterien und schon gar keine Pilze. Die Produktion ist völlig unabhängig vom Wetter. Besonders in geographisch heiklen Regionen versprechen die Underground-Bauernhöfe Entlastung und Sicherheit. Nicht jeder Staatenverbund kann sich rühmen auf Butterbergen zu sitzen und in Milchseen zu schwimmen.

Und auch das ist nicht von der Hand zu weisen: Wenn Gemüse dort produziert, wo es auch gegessen wird, dann würden die irrsinnigen Transporte rund um den Globus hinfällig. Das ist immerhin nachhaltiger und umweltschonender als die Bio-Tomaten, die in der Türkei angebaut, nach Italien zum Verpacken geflogen und letzten Endes vom Berliner Hipster guten Gewissens im Supermarkt am Prenzlauer Berg gekauft werden.