So viel Fremdschämen gab´s noch nie

So viel Fremdschämen war noch nie

Soziale Medien bringen Menschen zusammen, die nicht nur aus dem gleichen Freundes- und Kollegenkreis stammen. Man trifft auf Leute, denen man irgendwann im Leben mal begegnet ist und bei denen man nicht wirklich ein Interesse hat, ihnen noch einmal zu begegnen. Der Knackpunkt hierbei ist aber: Online trifft man sie. Auf Facebook kommt man nicht nur mit jenen in Berührung, mit denen man sowieso jeden zweiten Abend in der Kneipe verbringt und die aus dem gleichen Umfeld kommen, wie man selbst. Viel interessanter ist der ganze Rest: Der alte Klassenkamerad, der auf einmal libertär ist. Der nette Typ von früher aus der Metzgerei, der zur kollektiven Empörung gegen Flüchtlinge aufruft. Ein alter Kumpel aus dem Fußballverein, der gerade den G20-Gipfel blockiert. Sie alle sind auf Facebook aktiv und teilen fleißig ihre Meinungen, ihre Wut, ihre Ressentiments oder Fotos von ihrem letzten Musicalbesuch. Das legt den Schluss nahe, dass sich User mitnichten ausschließlich innerhalb der eigenen Filterblase bewegen, zumindest weniger als im realen Leben. Auch wenn es eher ein unterbewusster Vorgang ist, werden die Grenzen zwischen Milieus, sozialen Schichten und politischen Ideologien hier sogar eher verwischt als manifestiert. Verschwörungstheoretiker, Radikale oder einfach nur Arschlöcher gab es auch schon, bevor sie plötzlich Facebook für sich entdeckten. Der einzige Unterschied zu früher ist, dass wir plötzlich täglich mit ihnen konfrontiert werden.

Je exklusiver die Atmosphäre desto besser die Diskussion. Eh´ klar. Quelle: Wikimedia Commons

Schottet euch ab!

Wie, liebe User, lässt sich also die öffentliche Debatte wieder zivilisieren? Darauf gibt es eine klare Antwort: Mehr Filterblase! Seht ein, dass eine fundierte Diskussion nicht mit jedem möglich ist! Geht dorthin, wo es auf komplizierte Fragen keine einfachen Antworten gibt! Sammelt Argumente, Expertise, Know-How. Und erzählt euren Shit denjenigen, die wirklich etwas damit anfangen können. Das heißt ja nicht, dass man auf die gepflegte Auseinandersetzung zwischendurch verzichten muss. Aber wenn das Gegenüber in der Kneipe vorher in der Bezahlsektion der FAZ unterwegs war, und man selbst gerade einen Jungle-World-Artikel gewälzt hat, jeder ein kleines bisschen Ideologie und das richtige Maß an nicht-alternativen Fakten parat hat, dann kann etwas entstehen, was in Vorschnappatmungszeiten einmal völlig selbstverständlich war: Ein gutes Gespräch.