Keine Frage: E-Voting wird kommen – früher oder später. Doch die vielen möglichen Sicherheitsrisiken bringen dem Verfahren Skepsis und Misstrauen ein. Dass auch die klassische, analoge Wahl nicht frei von Fehlern ist, vergessen dabei viele. Dabei lenkt die Debatte von einer viel wichtigeren Frage ab: Darf Wählen bequem sein? Und wenn ja, wie lässt sich der Wert demokratischer Wahlen erhalten, wenn die Stimmabgabe so einfach wird wie eine Online-Bestellung?

Die Sonne erblüht früh morgens am blauesten Himmel, den man in ganz Deutschland finden kann. Noch ehe das Wahllokal mit seinen demokratischen Sirenengesängen lockt, rufen die Kirchenglocken die bayerische Stammwählerschaft zum gemeinsamen Gottesdienst. Der Wahlempfehlung des Pfarrers eingedenk, geht es irgendwann am frühen Nachmittag ins Wahllokal zu den anderen freundlichen Demokraten aus der Nachbarschaft. Ein Zwinkern hier, ein zufriedenes Lächeln dort, das Kreuzchen aufs Blatt, dreimal gefaltet und schnell ab die Post in die Wahlurne, schließlich hat der Wirt auch schon geöffnet. Jetzt ein zünftiges Weißbier, um den Wahlerfolg der Regierungspartei schon vorab zu begießen. Feucht und fröhlich geht es zu – wie jedes Mal. Ein gutes Gefühl stellt sich ein beim Wähler, keine Mühen gescheut zu haben, um am heiligsten Ritual demokratischer Mitbestimmung teilzunehmen.

Klischees beiseite. Diese arg folkloristische Szene, die es so schon lange nicht mehr gibt, zeigt zumindest eines: Der Gang ins Wahllokal ist ein Ritual, das seine Bedeutung auch dadurch erlangt, dass man sich dafür in Bewegung setzen muss. Der Bürger muss hoch von der Couch, er muss sich organisieren und entweder vorab die Briefwahl nutzen, oder selbst die Tür zum Wahllokal aufstoßen. Eine Wahl kann unbequem sein, sowohl im Verfahren als auch im Ergebnis.

Ein Argument, das Befürworter von Online-Wahlverfahren daher immer wieder ins Felde führen, ist die Tatsache, dass eine erleichterte Stimmabgabe sich möglicherweise auch positiv auf die – kontinuierlich sinkende – Wahlbeteiligung auswirken würde (ob Desinteresse oder Unzufriedenheit der Grund dafür ist, lassen wir mal dahingestellt). Folgt man solchen Vorschlägen, dann könnte nämlich alles viel einfacher ablaufen: Der Wähler muss am Wahlsonntag nur sein Tablet aus der Tasche ziehen, sich mit drei bis vier Klicks durch die Online-Bürokratie der BRD wühlen und voilà: Die Stimme wird unkompliziert eingereicht und durch den Äther gejagt.

Beförderung der demokratischen Kultur?

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Wer immer es schafft eine Wahl zu manipulieren, hält alle Fäden fest in der Hand. Quelle: pixabay.com

In den USA werden elektronische Abstimmungsverfahren mittels vor Ort installierten Wahlcomputern schon seit Jahrzehnten eingesetzt und sorgen regelmäßig für Kontroversen zwischen den politischen Lagern. Die Wahl von George W. Bush zum Präsidenten musste etwa wegen des äußerst knappen Ergebnisses im Swing State Florida vor dem obersten Gerichtshof entschieden werden, indem dieser die Entscheidung in einigen Wahlbezirken überprüfte (bzw. sie in anderen Wahlkreisen untersagte) und für rechtens erklärte.

Die Wahl bis heute als umstritten und steht symptomatisch für die Skepsis gegenüber Wahlcomputern. Technikskeptizismus wurde im „Sunshine State“ zum öffentlichen Beruhigungsmittel. Die Kritik an elektronischen „Voting Machines“ gilt in den USA seitdem als das Königsargument unterlegener Kandidaten. Aktuell kokettiert Donald Trump mehr als offensiv damit, die Wahl wegen möglicher Manipulation nicht anzuerkennen – selbstverständlich nur, wenn er verliert.

Doch neben aller Polemik gibt es auch einige triftige Argumente dafür, auf Papier zu setzen, statt auf Bits und Bytes. Der wichtigste davon: Papier vergisst nicht. Zumindest der psychologische Effekt, jederzeit zu wissen, dass die abgegebenen Stimmen irgendwo nachvollziehbar erfasst sind und nicht in einer Black Box vor sich hinbrüten, ist nicht zu unterschätzen. Das Risiko zur Manipulation besteht beim E-Voting zweifellos:

Der Schweizer Hacker, Sebastien Andrivet, hat dem Kanton Genf im Jahr 2003 im Rahmen eines Konvents deutlich vor Augen geführt, dass es sehr wohl möglich ist, das elektronische Abstimmungssystem zu manipulieren, ein System, das übrigens auch in Basel-Stadt, Luzern und Bern eingesetzt wird. Wie Le Matin und die Sonntagszeitung berichteten, hat Andrivet einen Virus programmiert, diesen in einen geeigneten Server injiziert und erfolgreich getestet: Die Stimmabgabe der Stimmbürger würde damit obsolet, weil beliebig veränderbar. Als Beweis hierfür gibt es seitdem Andrivets Präsentation auf Youtube.

Der Entwickler, Sicherheitsspezialist und Hacker Andrivet glaubt jedenfalls nicht an die Zukunft des E-Voting: “Das System bringt nichts. Es ist reine Geldverschwendung und weniger sicherer als Papier.”

Papier vs. Elektronik

Damit hat dieser Bürger der Schweiz damals schon eine Diskussion befeuert, die im Grunde bis heute anhält: Was ist sicherer? Wahlabgabe mittels Papier? Oder mittels Elektronik? Anfällig ist natürlich beides: Allein die unglücklich abgelaufenen Wahlen zum Bundespräsidenten in Österreich – die übrigens immer noch keinen Abschluss gefunden haben – zeigen, wie störanfällig der klassische Gang zur Urne und die Briefwahl – Stichwort: nicht klebende Briefumschläge – sein können. Bei der kommenden (und hoffentlichen letzten Wahl) wird nun sogar die OECD aufpassen müssen. Wahrlich kein Ruhmesblatt für die sonst so stolze Alpenrepublik.

“The pen is mightier than the sword” – eine alte Weisheit, die im Wahllokal der Zukunft womöglich an Gültigkeit verlieren wird. Quelle: pixabay.com
“The pen is mightier than the sword” – eine alte Weisheit, die im Wahllokal der Zukunft womöglich an Gültigkeit verlieren wird. Quelle: pixabay.com

Grund genug, noch einmal die Argumente beider Seiten abzuwägen und einen mikroskopischen Tiefgang zu wagen.

Zunächst zum Kasus Wahlmaschinen: Pars pro toto sei auf einen der größten Hersteller hingewiesen: Eine Firma namens Diebold, die u.a. ihre Geräte für die umstrittene US-Präsidentschaftswahl 2004 zur Verfügung stellte. Der Fall illustriert jedenfalls frappierende Missstände: Eine republikanische geprägte Geschäftsführung, keine Transparenz des Programmcodes, Server aus gewöhnlichen PCs ohne Firewalls, keine Papierbelege für abgegebenen Stimmen, etc.

Diese Liste ließe sich fortsetzen, doch am schlimmsten wiegt ohnehin die Demonstration der Aktivistin Bev Harris, die zweifelsfrei bewies, dass es möglich ist, die Textdatei mit den Kandidatenstimmen von einem externen Computer aus zu öffnen und zu verändern, natürlich ohne Spuren zu hinterlassen. Fazit: Es besteht Bedarf an Verbesserung – offenkundig noch immer.

Viele der in den US-Bundesstaaten aufgestellten Wahlmaschinen basieren nach wie vor auf Windows XP, ein Betriebssystem, für das es seit 2014 kein Sicherheitsupdate mehr gab. Besonders heikel an diesem Faktum ist, dass einige dieser Wahlmaschinen in Wahlbezirken der sogenannten Swing States wie Florida und Pennsylvania installiert sind. Wenn Pennsylvania und Florida das Zünglein an der Waage ausmachen sollten, dann möchte man eine mögliche Manipulation und deren Folgen gar nicht erst zu Ende denken.

Doch mal ganz abgesehen von Wahlcomputern, birgt das E-Voting ein Riesenproblem für Demokratien: Transparenz. Selbst für Informatiker wird es schwer werden, die Mechanismen und Security-Funktionen eines wasserdichten E-Voting-Systems in allen Einzelheiten zu verstehen, vom Otto Normalverbraucher ganz zu schweigen. Ein sicheres IT-System kann aus Gründen der Sicherheit überhaupt keine Transparenz bieten. Daraus folgt: Man baut auf das blinde Vertrauen des Wählers – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes “blind”.

Wahlen sind in einer Demokratie das, was man in der IT-Sicherheit einen “Single Point of Failure” nennen könnte. Ein Single Point of Failure bezeichnet den Punkt, an dem man ein System komplett aushebeln kann. Wer immer auch die Wahlen in einer Demokratie auszuhebeln vermag, hat letztendlich das ganze System in der Tasche.

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Verlierer einer Wahl mittels elektronischer Stimmabgabe tun sich leicht zu behaupten, dass das Ergebnis gefälscht wurde. Quelle: flickr.com

Wenn man möchte, findet man unzählige Recherchen darüber, dass Die Wahl 2004 in den USA nachweisbar manipuliert wurde. Ob diese Nachweise jetzt stimmen oder nicht, ist im Grunde nebensächlich. Wichtig ist, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass es nicht passiert ist, weil die Transparenz fehlt. Nach wie vor gilt die Binsenweisheit: Jede Software ist störanfällig. Selbst Scan-Maschinen, die mit der Hand ausgefüllte Wahlzettel registrieren, sind auf breiter Basis hackbar, wie nicht zuletzt der Film “Hacking Democracy” von HBO aufzeigt.

Der Mensch macht es auch nicht besser, aber…

Stellt sich abschließend die Frage: Brauchen wir weiterhin Wahlzettel und Wahlhelfer, damit wir demokratische Wahlen abhalten können, obwohl unbestreitbar ist, dass der Faktor Mensch nun so gar nicht kalkulierbar oder programmierbar ist?

Menschen sind natürlich genauso störanfällig wie Software, wenn nicht sogar störanfälliger, aber: Wenn eine Wahlkommission, die zusammen sitzt, aus irgendwelchen Gründen sich einig wird, dass dem Wahlergebnis nachgeholfen werden muss und jedes Mal, wenn grad niemand hinsieht, zwei bis drei Wahlzettel ausfüllt und in die Wahlurne stopft, dann muss man klar sagen: Das ist machbar, aber es ist schwierig.

Die Art und Weise, wie Wahlen bisher organisiert werden, sorgen dafür, dass es potenzielle Fälscher alles andere als leicht haben. Und mal ganz abgesehen davon: Was ginge nicht alles verloren, wenn man künftig von zu Hause aus online oder mittels installierter Wahlcomputer wählen müsste? Das Verständnis für den genauen Vorgang sowie ein Mindestmaß an Transparenz blieben dann zweifelsohne auf der Strecke. Das Ausfüllen des Wahlzettels hingegen versteht sich von selbst. Jeder Bürger kann den transparenten Vorgang einwandfrei nachvollziehen – solange er den Begriff der „Transparenz“ nicht allzu wörtlich nimmt und dem Wähler an der Urne über die Schulter schaut, wie in diesem Evergreen der Wahlwerbespots:

Auch ohne eingefleischten Konservatismus und unzeitgemäßer Technikfeindlichkeit lässt sich festhalten: Der Gang ins Wahllokal ist beileibe nicht zu viel verlangt. Keine Frage: E-Voting wird kommen früher oder später. Doch bislang war und ist Wahlsonntag ein wichtiger Bestandteil gelebter Demokratie. Die wichtigste Frage zum E-Voting muss daher für uns alle lauten: Wie sehr muss Demokratie gelebt werden? Willy Brandts viel zitierte Aufforderung „Mehr Demokratie wagen“ lässt grüßen. Wie viel Digitalisierung ist einer Demokratie zumutbar? Sollte Wählen so bequem werden wie jede alltägliche Inter- und Transaktion mit unseren Smartphones? Die genaue Antwort werden wir wohl erst noch finden müssen.

Wir tun jedenfalls gut daran, uns dabei den Dramatiker und Nobelpreisträger George Bernard Shaw ins Gedächtnis zu rufen: “Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert, dass wir nicht besser regiert werden, als wir es verdienen.”