Autonomes Fahren: Braucht’s das?

Es ist soweit: Technikfeinde reiben sich die Hände. Das Tesla Model S, Sinnbild für autonomes Fahren, ökologiebewusste Fortbewegung und Verheißung einer Mobilität ohne Verkehrstote, hat mit den letzten beiden Unfällen den ersten Rückschlag bei der Entwicklung erlitten. Nun gab es sogar das erste Todesopfer im Rahmen des Pilotprojektes. Grund genug, unseren Traum von der autonomen Mobilität noch einmal zu überdenken?

Seit dem zweiten Crash innerhalb weniger Tage ist Elon Musk ein beschäftigter Mann. Er twittert viel. Er twittert sehr viel. Eine Spirale von Rechtfertigungen und – wie Beobachter feststellten – teilweise höchst unsouveränen Reaktionen zieht sich durch die sozialen Medien. Der PayPal-Gründer Musk musste sich vor einem extra einberufenen Ausschuss des amerikanischen Senats rechtfertigen und genauere Informationen über die Hintergründe der Unfälle liefern. Die Presse zeigt sich unterdessen empört. Journalisten feuern aus allen Rohren und berichten schon jetzt vom Versagen einer Technik, die noch nicht mal richtig Fuß fassen konnte.

Endlich Zeit für Tinder: Das selbstfahrende Auto setzt Ressourcen frei, von denen wir bisher nicht wussten, dass wir sie überhaupt brauchen. Bildquelle: splitshire.com
Endlich Zeit für Tinder: Das selbstfahrende Auto setzt Ressourcen frei, von denen wir bisher nicht wussten, dass wir sie überhaupt brauchen. Bildquelle: splitshire.com

Ein Konsens scheint sich jedoch herauszuschälen: Die Automobilindustrie – schließlich investieren auch Mercedes, VW,  Volvo und weitere große Hersteller an der Technik des autonomen Fahrens – wird in Zukunft detaillierter erklären müssen, dass hier eine Technik auf öffentlichen Straßen zum Einsatz kommt, die sich noch in einer frühen Entwicklungsphase befindet. Jeder Fahrer muss das (Rest-)Risiko auf der Straße schließlich selbst abwägen. Der tödliche Unfall in Florida wurde von Tesla als tragischer Einzelfall dargestellt. Doch wird das in Zukunft auch so bleiben, angesichts des heutigen Verkehrsaufkommens?

Braucht unsere Gesellschaft selbstfahrende Autos? Machen sie unser Leben so viel sicherer? Ist es nicht etwas viel verlangt, während dem Autofahren ein Brettspiel zu spielen, hinten im Fahrzeug zu sitzen, einen Film anzusehen, im Internet einzukaufen oder sogar zu schlafen? Das ist keineswegs bloße Phantasie! Auf YouTube tummeln sich mittlerweile etliche Videos, die entspannte Tesla-Fahrer bei allem anderen zeigen außer beim konzentrierten Autofahren.

USA! USA! USA! – nicht wenige denken dabei an Homer Simpson. Es sind nunmal Dinge, die so nur jenseits des großen Teichs möglich sind. Die Rechtslage in Europa verpflichtet jeden Autofahrer bislang, zu jeder Zeit beide Hände am Steuer zu halten. Zeitung lesen, schlafen oder sich gar mit Mitfahrern zu vergnügen – dies ist nach der geltenden Wiener Verkehrskonvention verboten. Jetzt, 2016, soll sie geändert werden. Autonome Funktionen wären damit auch auf europäischen Straßen nutzbar.

Man spricht in diesem Zusammenhang vom teilautonomen Fahren. Der Pilot steht nach wie vor in der Verantwortung, das Agieren seines Autos zu beobachten und ggf. zu handeln. Tesla wies im firmeneigenen Blog darauf hin, dass vor der Aktivierung des Systems eine explizite Anweisung auf dem Display erscheint, die vom Fahrer bestätigt werden muss. Elon Musk betonte, dass man nicht ohne Grund von einer Beta-Phase des Autopilot-Systems spreche.

Augen auf beim assistierten Fahren

Wer trägt also die Schuld an den vielen Unfällen? Mensch oder Maschine? Bezüglich des Vorfalls in Florida lassen sich zwei Dinge festhalten. Die Technik hat den anfahrenden LKW nicht als solchen erkannt und somit versagt. Der Fahrer schaute laut einem Zeugen nebenbei einen Harry Potter Film, anstatt sich auf den Verkehr zu fokussieren.

Die Mischung Mensch und Maschine ist nach wie vor heikel, besonders wenn beide fahrlässig grob funktionieren oder handeln. Die Technik des autonomen Fahrens – oder besser: des assistierten Fahrens – weilt längst schon unter uns. Tempomaten, Spurassistenten, Abstandswarner, Einparkassistenten sind allgegenwärtig. Wer es heute noch urig-mechanisch mag, der muss schon zu einem Lada Taiga greifen. Den gibt es sogar noch ohne elektrische Fensterheber. Doch die Mehrheit der Autofahrer wird wohl nicht mehr auf technische Errungenschaften verzichten wollen. Diese befinden sich im Begriff, das assistierte durch das autonome Fahren zu erweitern und womöglich gänzlich zu ersetzen.

War früher irgendwie ungefährlicher: Filme im Auto sehen Bildquelle: wikipedia.org
War früher irgendwie ungefährlicher: Filme im Auto sehen Bildquelle: wikipedia.org

Autonome Fahrzeuge verfügen über eine Vielzahl von Sensoren und Kameras, die meistens mit Ultraschall- oder Infrarot-Technik arbeiten. Einige wenige Modelle verfügen über noch präzisere Laserscanner.

Egal wie, der Gedanke dahinter ist immer der gleiche: Sensoren und Kameras tasten im Millisekundentakt die Umgebung ab. Dies soll für die Assistenzsysteme die nötige Orientierung schaffen. Für eine optimale Navigation müssen die GPS-Karten extrem genau programmiert und ausgearbeitet sein. Der Autopilot soll schließlich menschliches Versagen wettmachen. In Theorie und Praxis reagiert die KI auch schneller als der Mensch und leistet sich keine Unachtsamkeiten – eigentlich!

Fehler scheint es dennoch zu geben. Den Vorwurf, dass es sich um eine bislang noch unausgereifte Technik handle, lässt Konzernchef Elon Musk nicht gelten. Die Bezeichnung “Beta” habe nichts mit dem Stand der Software zu tun, sondern solle “für die, die sich entscheiden, sie zu nutzen” ein Hinweis darauf sein, “dass sie nicht perfekt ist”, plädierte Musk auf Twitter. Wir fragen uns, wo da der Unterschied sein soll, zumal die vielen Defizite der Technik nicht einfach aus der Luft gegriffen sind.