Defizite der Technik
Defizite der Technik
Noch gibt es vieles, was die Technik nicht leistet, aber im Straßenverkehr unentbehrlich ist. Den Schulterblick sollte der Fahrer lieber noch selbst leisten. Bis die Technik die Geschwindigkeit anderer Verkehrsteilnehmer korrekt einschätzt, dauert es noch ein wenig. Die Kameras arbeiten für sich präzise, doch eine tief stehende Sonne oder externe Lichtquellen stellen für das autonome Auto schnell große Hürden dar.
Selbst modernste Kameras können mit der Sehfähigkeit und Präzision eines gesunden menschlichen Auges nicht mithalten. Das mag im sonnigen Kalifornien vielleicht nur morgens und abends, wenn die Sonne tief steht, von Bedeutung sein. Im rauen Klima Europas muss das selbstfahrende Auto aber an ganz anderen Wetterfronten kämpfen. Schneestürme, heftiger Regen, Hagel und Gewitter stellen die Sensorik noch vor (zu) große Herausforderungen. Ein erprobter Fahrer dagegen braucht nichts außer Ruhe und Gelassenheit, um mit widrigen Wetter- und Straßenverhältnissen fertig zu werden: ABS und ESP sei Dank!
Es bleibt überhaupt anzuzweifeln, ob es ein autonomes Auto jemals mit der Intuition eines geübten Fahrers aufnehmen kann. Klar: Auf einer eigens dafür vorgesehenen Teststrecke besiegt die KI auch den besten Rennfahrer, aber eine derartige Simulation ist schließlich weit davon entfernt, spontane Unfall-Situationen auf öffentlichen Straßen abzubilden.
In manchen Unfallszenarien muss der Fahrer geltendes Verkehrsrecht brechen – sei es das Ausweichen auf den Bordstein oder das Überfahren einer durchgezogenen Linie – nur um Schlimmeres abzuwenden. Kann das autonome Auto so etwas abwägen? Und selbst wenn: Wie legt man ethische Kriterien fest, damit eine KI im Notfall sich “richtig entscheidet”.
Unfallkriterien für Mensch und Maschine
Kollidiert das autonome Auto in einem unausweichlichen Szenario lieber mit dem Fahrradfahrer mit Helm, anstatt dem Motorradfahrer ohne Kopfschutz? Weil die Überlebenschance des Fahrradfahrers möglicherweise größer ist? Weil er sich an die Vorschrift gehalten hat und der Motorradfahrer nicht? Wie möchte man bei Unfällen schon Gerechtigkeit herstellen? Ein Mensch handelt, wie er handelt: intuitiv und spontan! Ein Maschine bräuchte transparente Kriterien, die ihr Handeln diktieren. Wer will sie festlegen?
Elon Musk? Die Autofirmen? Alexander Dobrindt? Letzterer hat zumindest ein Strategiepapier präsentiert, das vorschreibt, dass autonome Autos maximal 130 km/h fahren dürfen. Es ist auch dem bundesdeutschen Verkehrsminister kein Geheimnis, dass die Technik des autonomen Fahrens bislang später eine Bremsung auslöst als ein Mensch. Zudem auch abrupter, weil sie erst auf ein Hindernis reagieren kann, wenn dieses in einer vorgegebenen Reichweite erkannt wird. Ein menschlicher Fahrer benötigt kein festgelegtes Reglement, bei welcher Meterzahl er sich entscheidet, abzubremsen. Auch dies geschieht intuitiv.
Autonomes Fahren im Beta-Test
Noch sind autonome Autos nicht flächendeckend im Einsatz. In den US-Bundesstaaten Kalifornien, Florida, Texas und Nevada dürfen derartige Vehikel mit Sondergenehmigung den öffentlichen Verkehr auskundschaften. In Deutschland ist dies bereits seit 2015 auf einem kleinen Teilstück der A9 möglich. Ab 2018 eröffnet eine neue Teststrecke von 1,6 Kilometern Länge in einem Industriegebiet in Ingolstadt. Die Länder Niedersachsen und Baden-Württenberg wollen im Frühjahr 2017 nachziehen.
Es bleibt abzuwarten, ob weitere Unfälle in Zukunft die Schlagzeilen dominieren, oder ob das autonome Fahren auch in Europa und Deutschland langfristig salonfähig wird. Fairerweise muss man einräumen, dass es sich nicht bei jeder Unfallmeldung von Tesla und Co. gleich um ein Versagen der Technik handeln muss. Bei der jüngsten Kollision im Bundesstaat Pennsylvania war das System deaktiviert. Elon Musk schrieb hierzu auf Twitter: “Mehr noch, der Crash hätte sich nicht ereignet, wenn es eingeschaltet gewesen wäre.”
Mag sein! Der tödliche Crash in Florida hätte vielleicht vermieden werden können, wenn a) die Technik besser funktioniert und b) der Fahrer nicht ferngesehen hätte. Die Frage ob wir die autonome Technik – die zu Recht im Verdacht steht die menschliche Autonomie beim Fahren zu ersetzen – überhaupt brauchen, scheint unter diesen Aspekten brisanter denn je. Natürlich wäre es schön, wenn wir in Zukunft die Zeit beim Autofahren zum Schlafen nutzen könnten, so wie es der Mercedes Werbespot zum F015 suggeriert.
Doch wer schlafen will, sollte mit Blick auf aktuelle Unfallstatistiken doch lieber per Zug oder Flugzeug reisen. Das Automobil – dem lateinisch/griechischem Namen nach ein „selbstbewegendes Fahrzeug“ – war vielleicht nie dazu gedacht, sich wirklich von selbst zu bewegen. Wozu auch? Lesen am Steuer werden die wenigsten. Das lenkt den Blick schon stark ab und außerdem gibt es Hörbücher.
Mehr Zeit! Aber für was?
Wie also die Zeit nutzen? Es ist ja kein Geheimnis, dass auch Firmen wie Google und Apple eifrig in die Technik des autonomen Fahrens investieren. Wäre es nicht zu schön, wenn die User die neu gewonnene Zeit dafür nützten, um ihre E-Mails zu bearbeiten, im I-Store zu stöbern, über Googleanzeigen Flüge zu buchen und um auch den letzten Schrei direkt aus dem selbstfahrenden Auto zu bestellen.
Als hätten wir noch nicht genug Möglichkeiten, online zu sein und unseren unersättlichen Hunger nach mehr und weniger Langeweile zu frönen. Daher auf die Frage: Braucht es das autonome Fahren? Kein klares Ja! Kein klares Nein!
Eine universelle Antwort gibt es wohl nicht. Natürlich wird jeder hin und wieder mal den Fuß vom Pedal nehmen oder den Blick auf eines seiner Dutzend Displays werfen wollen. Bis wir aber die Hände ganz vom Steuer lassen werden, wird es noch einige Zeit dauern. Bis dahin gibt es auch konventionellere Methoden des Zeitvertreibs: Eine Autofahrt wird erst zum denkwürdigen Roadtrip, wenn man das Auto auch hin- und wieder ganz verlassen kann, um zum Beispiel einen Espresso an der nächsten charmant-morbiden Raststätte irgendwo zwischen zwei Bergpässen ohne Handyempfang zu trinken.
Es ist die perfekte Möglichkeit, dem digitalen Stress zu entfliehen, und sei es auch nur für fünf Minuten. Der Espresso sprudelt dort nämlich aus einem analogen, mechanischen Siebträger und schmeckt hervorragend. Zuweilen lässt er einen sogar vergessen, dass Menschen Fehler machen und Maschinen nicht perfekt sind.