Technik und Biologie

Technik und Biologie

Die Konservierung im Eis ist nicht gerade unkompliziert. Ohne hydraulische Herzkompressionsmaschine und Beatmungsmaske könnten die Zellen des menschlichen Körpers niemals am Leben gehalten werden. Mehrere Medikamente besorgen den Dauerschlaf. Infusionen beugen der Bildung von freien Radikalen, Stickoxiden und Körpergiften vor. Es gibt keine messbaren Aktivitäten weder im Herz noch im Hirn. Deshalb bleibt die Frage haften: Ist der Mensch nach dieser Prozedur tot?

Juristisch gesehen: Ja! Für den Tiefschlaf am Cryonics Institute stellen Ärzte Totenscheine aus und schreiben darauf „Kryo-Preservation”.

Dennoch: Das Herz pumpt – wenn auch künstlich – Blut durch den Körper und die Zellen werden mit Sauerstoff versorgt. Das Prozedere, das sich in den Särgen am Cryonics Institute abspielt, ist etwas ganz anderes als das, was sich unter der Erde auf konventionellen Friedhöfen zuträgt: Langsamer Zerfall, Würmer, Maden, also alle eher unangenehmen Begleiterscheinungen des Todes.

Genau jene Zerfallsprozesse werden von der Kälte ausgehebelt. Bei den richtigen Temperaturen kommen die chemischen Prozesse zum Erliegen. Zellen, Moleküle, Blutgefäße, Adern – all das bleibt intakt. Die Interaktion der stark vernetzten Neuronen im Gehirn soll nach dem Auftauen reibungslos funktionieren. Biologisch gesehen schützt die Kälte das Gehirn vor dem Verfall.

Zur richtigen Konservierung bedient sich die moderne Kryonik der Vitrifizierung. Diese Technik unterdrückt die Bildung von Eiskristallen, die ansonsten mikroskopische Verletzungen verursachen, die nach heutigem Kenntnisstand als irreversibel gelten. Jeder Kryo-Pionier, der sich heute einfrieren lässt, muss schließlich darauf hoffen, dass die Ärzte der Zukunft alle Schäden heilen können, was auch die durch die Kryostase verursachten miteinschließt.

Der einzige Konkurrent des Cryonics Institute, der ebenfalls eine Kryo-Preservation anbietet, zeigt sich optimistisch. Das Unternehmen Alcor aus Phoenix begnügt sich sogar damit, lediglich den Kopf ihrer Probanden einzufrieren. Wenn in Zukunft alle tödlichen Einflüsse geheilt werden können, dann könnte man doch auch aus der vorhandenen DNA einen gesunden Körper klonen und den Kopf darauf setzen. Was das Institut aus Arizona unter dem klangvollen Namen „Neuro-Präservation” verkauft, mag technisch in ferner Zukunft möglich sein, ist aber wohl wenig vertrauenserweckend und kaum PR-tauglich.

Pionier Alcor will lediglich den Kopf konservieren und später aus der DNA einen neuen Körper klonen. Bildquelle: Alcor
Kryonik-Pionier Alcor will bei seinen Probanden lediglich den Kopf konservieren und später aus der DNA einen neuen Körper klonen. Bildquelle: Alcor

Dabei muss man aber durchaus einräumen, dass die biologische Vielfalt, die man auf der Erde vorfindet, Grund zu der Annahme gibt, dass ein Leben nach einem Tiefschlaf im Eis im Bereich des Möglichen liegt. In der Fachzeitschrift Cryobiology erschien jüngst eine Veröffentlichung, die ein erstaunliches Naturphänomen illustrierte: Eingefrorene Bärtierchen konnten nach 30 Jahren Tiefschlaf wiederbelebt werden und zeugten sogar Nachwuchs.

Ein weiteres Phänomen von Mutter Natur:

Der Waldfrosch (Rana sylvatica), auch Eisfrosch genannt, hat die Fähigkeit entwickelt, seine Körperflüssigkeit im Winter bis zu etwa einem Drittel einzufrieren. Damit seine Körperzellen keinen Schaden durch Eiskristalle nehmen, produziert er ein körpereigenes Frostschutzmittel, bestehend aus Glukose und Harnstoff. Im Cryonics Institute gehen die Operateure sehr ähnlich vor: Blut und Gewebeflüssigkeiten werden durch Ethylenglykol, Formamid und Dimethylsulfoxid ersetzt.

Attraktives Geschäftsmodell mit kleinem Makel

Dieses Geschäftsmodell hat dem Cryonics Institute weltweit Mitglieder beschert: Der Löwenanteil stammt natürlich aus den USA mit über 800 Mitgliedern. In Deutschland gibt es immerhin 37, in Großbritannien 92, in Frankreich 8, in Italien 7 und in den Niederlanden 12. Ganz Europa kommt immerhin auf gute 200 Wagemutige, die den Ideen und Versprechungen der Kryonetiker etwas abgewinnen können und dafür sogar Mitgliedsbeiträge bezahlen. Die Kosten belaufen sich auf 30000 bis 70000 Euro. Wird nur der Kopf eingefroren, fallen bei Alcor Kosten von mindestens 7.000 Euro an. Die Wegbereiter dieser unglaublichen Technik erfahren auch tatkräftige finanzielle Unterstützung von anderen Unternehmen. Der bekannteste Geldgeber ist Peter Thiel. Der Mitbegründer von PayPal und Facebook-Investor hat einen eigenen Fond ins Leben gerufen: Breakout Labs unterstützt seit einigen Jahren Kryonik-Start-Ups.

Die stolzen Summen sind besonders deshalb frappierend, nachdem wirklich niemand sagen kann, ob sich dieses Investment jemals bezahlt macht.

Es sind die vielen Wenn und Abers, die einer Legitimierung der Kryostase als seriöser Wissenschaft im Weg stehen: Das ganze Konzept steht auf tönernen Füßen und ruht bislang auf dem sog. “Tissue-Engineering”. Das ist der Überbegriff für die künstliche Herstellung biologischer Gewebe durch gezielte Kultivierung von Zellen. Dadurch sollen in Zukunft kranke Gewebe ersetzt bzw. regeneriert werden.

Denn fest steht: Die Frostschäden können nicht zu 100% vermieden werden. Einige Neuronen werden beim Einfrieren definitiv in Mitleidenschaft gezogen. Auch deshalb bleibt der Vorwurf haften, dass die Kryoniker ein eiskaltes Geschäft mit einer trügerischen Hoffnung betreiben: Die ganze Technik steht und fällt mit dem optimistischen Glauben daran, dass die Ärzte der Zukunft alle Schäden heilen können. Es trügt der Schein allmächtiger Technikgläubigkeit.

Denn auch dies wusste der Philosophenkaiser Mark Aurel: „Der Schein ist ein gefährlicher Betrüger. Gerade wenn du glaubst mit ernsten und hohen Dingen beschäftigt zu sein, übt er am meisten seine täuschende Gewalt.”