Farbenfroher Kapitalismus

Farbenfroher Kapitalismus

Ein weiteres, besonders prominentes Opfer des Event-Kidnappings ist beispielsweise das bunte Holi-Festival, das alljährlich in ganz Indien stattfindet, und bei dem es darum geht, den Frühling mit bunten Farben werfend zu begrüßen. Indien? Farben? Party? Das muss doch auch bei uns funktionieren! So in etwa könnte der Gedankengang bei einigen findigen Agenturprofis ausgesehen haben, als im Jahr 2012 die Berliner “Holi Concept GmbH” das Festival auch in Deutschland an den Start brachte – nicht, ohne ein paar Änderungen am klassischen indischen Konzept vorzunehmen. Die musikalische Untermalung wird bei dem Spektakel nämlich von professionellen DJ´s übernommen, die von den Besuchern zu werfende Farbe kann nur vor Ort gegen ein paar Euro erworben werden – zusätzlich zum Eintrittspreis von über 20 Euro. In Deutschland finden jährlich über 30 “Holi Festival of Colours” statt, die bunten Feten sind beim Publikum beliebt, schließlich hat das Fest ja etwas mit Indien zu tun und ist die ideale Gelegenheit, die eigene Weltoffenheit angemessen zu zelebrieren.

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Generation Selfie beim Feiern: Gelegenheit dazu gibt es z.B. auf den zahllosen Holi-Festivals in Deutschland Bildquelle: Holi Festival of Colours

Es gibt etliche weitere solcher Beispiele, von der jüngst aus Thailand importierten Full-Moon-Party bis zum seit einigen Jahren stattfindenden Oktoberfest in Shanghai.

Das Phänomen ist dabei nichts neues: beliebte Veranstaltungen haben schon immer Ableger in anderen Ländern gefunden. Was sich geändert hat, ist aber die Schlagzahl, mit der kulturelle Institutionen in andere Länder exportiert werden. Die in Echtzeit verfügbaren Informationen in sozialen Netzwerken führten auch zu einer Steigerung der Bekanntheit weltweiter Events – findige Unternehmer müssen im Grunde nur den richtigen Riecher haben, und zur richtigen Zeit die richtige Party veranstalten.

Wir können nicht überall gleich feiern

Dass solche Veranstaltungen mitunter auch recht seltsam anmuten können, wird dabei in Kauf genommen. Ein Picknick unter freiem Himmel, bei dem alle weiß gekleidet sind, entfacht in Frankreich eine völlig andere Wirkung, als in einer deutschen Großstadt, wo ein solches Maß an Einheitlichkeit bisweilen ein bisschen befremdlich anmuten könnte. Manche Passanten dürften sich unfreiwillig an das Buch “Die Welle” erinnert haben, in dem ein Lehrer im Rahmen eines Experimentes einen Mini-Faschismus in der eigenen Schulklasse einführt und die Schüler zum Tragen von Einheitskleidung in Form von weißen Hemden auffordert.

Einheitlichkeit? In Deutschland keine sooo gute Idee.

Feiern macht Spaß, und dieser Artikel ist keineswegs eine Aufforderung, damit aufzuhören. Es muss auch nicht immer “typisch” oder “originell” sein. Auch auf Parties von Eventagenturen lässt sich wunderbar Spaß haben. Es kann aber – liebe Feiernde – auch nicht schaden, bisweilen zu hinterfragen, ob ein als kulturell wertvoll bzw. “weltoffen” geltendes Event nicht doch einfach nur eine große, vereinheitlichte Marketingsoße ist, austauschbar, beliebig und letztlich nichts besonderes. Kultur entsteht und entstand immer aus der Mitte der Gesellschaft, in der Feste gefeiert werden wie sie fallen, und nicht, wie sie einer Kosten-Nutzen-Rechnung entspringen. Oft reicht schon ein schöner Abend mit den richtigen Leuten, um eine neue kulturelle Institution entstehen zu lassen. Denn wenn Francois Pasquier seinen Sommerabend auf einem Holi-Festival verbracht hätte, statt seine kleine Soiree zu geben, dann es gäbe heute vermutlich auch kein “Diner en Blanc”.