Das Fleisch, mit dem sich selbst Vegetarier anfreunden könnten?

Das Fleisch, mit dem sich selbst Vegetarier anfreunden könnten?

Theoretisch könnte man aus einer einzigen Stammzelle bis zu 10000 Kilo Fleisch herstellen. Doch das Labor in Maastricht ist weit davon entfernt, Massenware zu produzieren. Zwei Hindernisse seien noch zu überspringen, so Post. Das Serum in der zukunftsschwangeren Petrischale wird nach wie vor aus Kälbern gewonnen. Ziel sei es, eine pflanzliche Alternative zu entwickeln. Das größte Problem bereite jedoch der Geschmack. Die beiden Freiwilligen, die im Sommer 2013 den wohl teuersten Burger der Weltgeschichte probieren durften, zeigten sich zwar verblüfft über das authentische Fleischerlebnis, aber sie bemängelten den fehlenden Saft und überhaupt das trockene Bouquet. Der Grund dafür war nicht schwer auszumachen: Es fehlte das Fett! Dieses will Post in eigenen Petrischalen züchten und seinen zukünftigen Brätlingen beimischen. Bislang kostete Posts Burger ca. 250000 Euro.

Doch der Investor von Post und Google-Gründer Sergey Brin glaubt nach wie vor an die Ideen des Mediziners. Im Interview zeigt sich auch Post optimistisch: „Wir haben mit einem Unternehmen zusammengearbeitet, das Zellen für medizinische Zwecke züchtet. Wenn wir unsere Produktion auf deren Modell umlegen, würde nach dem heutigen Stand der Technik ein Kilogramm Fleisch aus dem Labor rund 58 Euro kosten. Der Marktpreis für herkömmliches Fleisch wird jedoch künstlich niedrig gehalten. Ich denke, es wird noch ein paar Jahre dauern, aber wir werden konkurrenzfähig werden.“

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Und mal abgesehen vom Geschmack, die Zahlen sprechend deutlich für das Fleisch-ohne-Tier aus Maastricht: Forscher der Universität Oxford haben ermittelt, dass Posts Methode 45 Prozent weniger Energie verbrauche, 96 Prozent weniger Wasser und 99 Prozent weniger Anbaufläche, als die herkömmliche Produktion von Fleischprodukten. Um den Fleischbedarf der Weltbevölkerung zu decken, bräuchte man lediglich 35000 Kühe, die nur hin und wieder etwas Gewebe opfern müssten. Und nur ein Zyniker würde behaupten, dass sich eine derart kleine Population nicht artgerecht halten ließe. Doch, ob sich eine derartige Frage in Zukunft überhaupt stellen wird, ist noch lange nicht abzusehen.

Trotz der vielen Vorteile – ähnlich wie bei den Fleischimitaten ließen sich auch in das Fleisch-ohne-Tier nachträglich Vitamine und Fettsäuren integrieren, die der Gesundheit dienlich sind – sind die kulturellen Vorbehalte nicht einfach wegzudiskutieren. Post trifft zwar einen Nerv, wenn er sagt: „Wir arbeiten daran, Fettzellen zu züchten, die mehr Omega-3-Fettsäuren enthalten. Ein Hamburger würde dadurch den Cholesterinspiegel senken, anstatt ihn zu erhöhen. Zudem gibt es die Vermutung, dass intensiver Fleischkonsum Darmkrebs fördern kann. Wenn wir herausfinden, welche Komponente des Fleisches dafür verantwortlich ist, könnten wir sie entfernen“, und dennoch müsste sich das Bewusstsein der Konsumenten drastisch ändern.

Selbst wenn das künstliche Fleisch schon bald die Supermarktregale bereichert, wird der Vorwurf eines künstlich gezüchteten Frankenstein-Fleisches erst einmal haften bleiben. Vorbehalte gegen unnatürlich erschaffene Organismen sind schließlich allein schon wegen ihrer literarischen und cineastischen Präsenz nicht aus den Köpfen der Menschen zu verbannen. Man könnte natürlich einwenden, dass es auch wenig kritische Stimmen gegen Kunstleder gibt, doch jene Dinge, die wir essen und wieder ausscheiden nehmen in unserem Leben dann doch einen anderen, vielleicht leidenschaftlicheren Stellenwert ein. Klar, kaum jemand schert sich um künstlich hergestellte Aromen oder die ganzen vielen „Es“ – E363, E337 und wie sie alle heißen – doch handelt es sich immerhin um Zusätze und keine fertigen Produkte. Dennoch darf man nicht vergessen, dass biologische und natürliche Produkte – frei von Bernsteinsäure, Signettesalz und sonstiger Zusätze – sich steigender Beliebtheit erfreuen.

Ob und wie es schmeckt, lest ihr auf Seite 4.