Wird das Steak aus der Petrischale jemals schmecken?

Wird das Steak aus der Petrischale jemals schmecken?

Wie also soll man einer breiten Schicht von potenziellen Käufern das Steak in Losgröße 1 überhaupt schmackhaft machen?

Schon 1931 prophezeite Winston Churchill in einem Essay mit dem Titel Fifty Years Hence, dass die Menschheit in 50 Jahren die Absurdität der Massentierhaltung erkennen und Fleisch im Labor züchten würde. Die Idee kam aus der Medizin: Nobelpreisträger Alexis Carrel, ein Freund von Churchill, arbeitete daran, Organe außerhalb des Körpers am Leben zu halten, und erkannte, dass dabei Gewebe weiterwuchs.

Im Durchschnitt isst jeder Deutsche im Laufe seines Lebens 1.094 Tiere: Vier Rinder, vier Schafe, zwölf Gänse, 37 Enten, 46 Schweine, 46 Puten und 945 Hühner. Der aktuelle Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung illustriert den Hunger, der kaum zu stillen ist.

Vielleicht ist es am Ende die Moral, die das Gros der Menschen zu einem neuen Fleischkonsum bewegt. Gute Frage, was passieren würde, wenn auf den Etiketten stünde, dass für jenes Stück Fleisch ein Tier sterben musste, wenn daneben im Regal eine geschmacklich authentische Alternative feilgeboten würde?

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Die Technologie steckt noch in ihren Kinderschuhen. Für größere Stücke Fleisch fehlen noch künstliche Blutgefäße, die die Nährstoffe zu allen relevanten Zellen weiter liefern. Der Burger aus dem Labor ist schon essbare Realität geworden, das Steak lässt noch auf sich warten. Außerdem werden bislang nur Muskelzellen kultiviert, doch die Forscher arbeiten schon an geschmacklich hochwertigem Fettgewebe aus der Petrischale. Bislang arbeiten Post und sein Team mit einer speziellen Sorte von Stammzellen, sogenannten Myosatellitenzellen, die sie aus dem Gewebe von Kühen extrahieren. Diese Zellen teilen sich jedoch nicht unendlich. Ziel wird es sein, embryonale Stammzellen zu nehmen, damit die Kuh nicht immer neuen Nachschub liefern muss.

Zugegeben: Stammzellen, Petrischalen und Blutgefäße sind nicht unbedingt die Wörter, die uns ans Essen denken lassen oder gar unseren Appetit anregen. Es mag ein langer Weg dahin sein, bis der Konsument das Fleisch aus dem Labor als schmackhaft erkennt. Dennoch: Die Alternative zu einer Ernährungsweise, die uns gänzlich weg von einer klimaschädlichen Tierhaltung bringen könnte, ist nicht einfach bei Seite zu wischen – mal abgesehen von den katastrophalen Zuständen der Tierhaltung, von denen hier noch gar nicht die Rede war.

Die Menschheitsgeschichte steckt voller „teuflischer“ Innovationen, die für den heutigen Menschen ganz normal sind. Man denke nur zurück an die Maschinenstürme und die Weberaufstände, die sich im 19. Jahrhundert in vielen Ländern Europas ereigneten. Revolutionäre Innovationen wie das Fließband, die Glühbirne, die Waschmaschine und selbst das Automobil riefen anfangs immer Kritiker auf den Plan, die nicht davor zurückschreckten, die Apokalypse herbeizureden. Deren Kassandrarufe verstummten jedoch im Laufe der Zeit.

Ob das Fleisch aus dem Labor den Hunger des Konsumenten stillen werden kann, ist noch nicht abzusehen. Der Modellrechnung des norwegischen Professors Stig William Omholt zufolge würde es der Welt erhebliche Investitionen kosten, um auf die sogenannte In-Vitro-Produktion umzustellen. Und was den Hunger der Industrie betrifft, muss man sagen: Eigentlich müsste die Industrie ein reges Interesse daran haben. Nichts steht derzeit mehr im Vordergrund als Produktionsketten in kleinen Losgrößen zu etablieren. Die Losgröße resultiert ja bekanntlich aus dem Zielkonflikt, dass ein Kunde einen dringenden Bedarf nach irgendeinem Gut hat, aber die Kapazitäten knapp oder überlastet sind. Man vergleiche die Anbauflächen der Landwirtschaft. Die meisten Modelle versuchen die Gesamtkosten zu minimieren und eine optimale Auslastung der Kapazität zu erreichen. Technisch kann das Steak in Losgröße 1 schon essbare Realität werden.

Den meisten Menschen wird es bei diesem „faustischen” Unterfangen aber wohl so gehen wie dem Protagonisten in Goethes bekanntestem Werk (Faust): „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“