Die Computing-Ära hat bereits begonnen

Die Computing-Ära hat bereits begonnen

Der systemische Aufbau von Watson liefert plausible Gründe, die zu einer berechtigten Annahme führen.
Erstens: Der Supercomputer kann ohne große Mühen die Komplexitäten unstrukturierter Datenmengen durchdringen, was ungefähr 90 Prozent der heute weltweit verfügbaren Daten entspricht.
Zweitens: Durch die Anwendung fortgeschrittener Analysemethoden kann Watson nicht nur Hypothesen aufstellen, sondern sie auch auf ihren Aussagegehalt hin überprüfen und Urteile fällen.
Drittens: Der IBM-Roboter kann auf Basis seiner gelieferten Ergebnisse ständig dazulernen. Für letzteres benötigt doch selbst dieser Supercomputer immer noch das Feedback eines Menschen, doch immerhin!

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Die Komplexität der Funktionsweise von IBM Watson. Man stelle sich den zeitlichen Aufwand vor, den ein Mensch aufbringen müsste, um vergleichbare kognitive Prozesse zu durchlaufen. Bildquelle: wikimedia.org

Weltweit arbeiten Forscher an einer technischen Kopie des Menschen: Roboter sollen nicht nur gezielt mit Informationen gefüttert werden, sondern selbstständig ihre Umwelt erfassen und alle relevanten Daten sinnvoll verarbeiten: Im Grunde sollen sie lernfähig werden.
Das beginnt schon bei ihrer eigentümlichen Körperlichkeit. Laufende Roboter werden sooft umgestoßen, bis sie Stöße, Stolperstellen und Unregelmäßigkeiten des Bodens bewusst abfangen und ihre Umwelt deuten können. Für einen Roboter stellen alltägliche Dinge wie Greifen und Gehen große Hürden da.

Und doch sind Serviceroboter, die in Altenheimen eingesetzt werden, längst keine gedankliche Spielerei mehr. Wer das japanische Altenheim Fuyo-En besucht, kann sich selbst davon überzeugen, wie intelligente Roboter sprechen und singen, um ihren Senioren den Alltag zu versüßen – wenn gewünscht, verteilen sie sogar Streicheleinheiten. Die Frauenhofer (IPA) entwickelt schon heute Serviceroboter-Technologien, die die Pflegekräfte bei ihrer Arbeit entlasten. Die Idee, die dahinter steckt: Robotor könnten in Zukunft Essen und Trinken verteilen, damit den Pflegekräften mehr Zeit für eigentliche Pflegetätigkeiten zur Verfügung stünde.

Doch Roboter sind nicht nur Service-Lakaien. Die Fähigkeiten von Hochleistungsmaschinen wie Watson und co. gehen weit darüber hinaus: Im Memorial Sloan Kettering Cancer Center, einer weltweit führenden Krebsklinik in New York, arbeiten Ärzte mit einem Supercomputer zusammen. Ein auf Krebs spezialisierter Watson unterstützt die Onkologen dabei, die wirksamste Therapie für Patienten zu finden. Die Rechnung ist einfach: Watson kann alle Papers und Veröffentlichungen in einem Fachgebiet ohne große Mühe durchforsten. Ein einzelner Experte kann dies angesichts der Publikationswut unserer Tage einfach nicht mehr stemmen. Auch die berühmteste Koryphäe kann niemals alle Veröffentlichungen innerhalb seines Fachbereichs kennen und schon gar nicht die Quintessenzen in Echtzeit herausfiltern. Für Watson kein Problem. Dafür wurde er programmiert, darauf ist er spezialisiert.

Wer fällt in Zukunft relevante Entscheidungen? Sind die Supercomputer einfach überlegen?

In Australien nutzt die Bankengruppe ANZ ihren eigenen Watson, um die möglichst beste Anlage- und Rentenberatung zu erzielen. Die Asymmetrie von dem, was einzelne Menschen wissen können und dem der Menschheit zugänglichem Wissen, wird auch jenseits des großen Teichs von Watsons Fähigkeiten ad absurdum geführt. Selbst in den juristischen Bereich hat der IBM-Schützling seine ersten Fühler ausgestreckt. In den USA lassen sich Richter von ihm beraten, denn nur Watson kann alle vergleichbaren, relevanten Fälle gelesen haben.

Es ist jedoch keineswegs so, dass der Supercomputer Entscheidungen fällt. Das Gegenteil ist der Fall: Richter, Ärzte oder Finanzdienstleister ziehen lediglich seine Analysen und Urteile zu Rate. Nur weil Watson eine Therapieform vorschlägt, heißt das noch lange nicht, dass der behandelnde Arzt sich danach richtet. Auch der zuständige Richter wird den Vorschlag mit Argusaugen begegnen und nachprüfen. Mit dem Erfahrungsschatz eines abbprobierten Arztes und amtierendes Richters kann selbst Watson (noch) nicht mithalten. Dennoch: der unterstützende Mehrwert, den ein Watson generiert, ist nicht einfach wegzudiskutieren.

Die intelligente Software von Watson weiß genau so viel, wie in den Texten steht, mit denen man sie füttert. Sein KI-Denkorgan analysiert sämtliche unstrukturierte Dokumente, E-Mails, Lexikonartikeln, Essays, Rezepte, Chat-Dialoge, Fachartikel, Fachbücher – im Grunde alles, was man ihm zum Lesen vorsetzt.

Er erkennt ganze Satzglieder und fahndet nach statistischen Zusammenhängen. Wenn man so will, dann konstruiert die Maschine ein eigenes Weltbild – zusammengestellt aus Ontologien.
Der Jeopardy-Watson kristallisierte seine Fähigkeit, auf die Fragen zu antworten, aus ca. 200 Millionen Seiten Text, bestehend aus Lexika-, Wikipedia- und Sachbuch-Einträgen. Fragen vergangener Shows durften natürlich auch nicht fehlen. Sein Bruder in der New Yorker Krebsklinik studierte zwei Millionen Textseiten aus Dutzenden Fachzeitschriften und klinischen Studien rund um die Themen Brust- und Lungenkrebs.

Doch die Textanalyse stellt gar nicht die verblüffendste Eigenschaft dieser KI dar. Wie gesagt, Watson kann durch menschliches Feedback lernen: Frage-Antwort-Paare stellen Watsons Hantelbank dar, daran trainiert er sein generisches Wissen. Er bekommt Fragen zur Übung vorgesetzt. Er entscheidet aufgrund der von ihm erzeugten Hypothesen und kalkulierten Wahrscheinlichkeiten. Danach können zum Beispiel die Ärzte anklicken, ob seine Diagnose richtig war. Die Onkologen des Memorial Sloan Kettering Cancer Center, trainierten den ungewöhnlichen Assistenzarzt mehrere Monate. Nach Abschluss seines Trainings erzielte der KI-Spezialist in 90 Prozent aller Fälle die richtige Antwort. Die Fragen kreisten um komplexe medizinische Entscheidungen: Laboruntersuchungen, operative Eingriffe, chemotherapeutische Maßnahmen, Dosierungen von Medikamenten, etc. – in all diesen Bereichen gab Watson sachlich fundierte Empfehlungen ab.

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Den Status einer mechanischen Puppe haben die Roboter der neuesten Generation längst verlassen, die Emotionalität und Intelligenz eines R2D2 bislang aber noch nicht erreicht. Bildquelle: kaboompics.com / Pixabay – stux