Was sind die Roboter-Kinder der neuesten Generation: Mechanische Puppen oder lernfähige Wesen?

Roboter-Kinder der neuesten Generation: Mechanische Puppen oder lernfähige Wesen?

Was sind denn die Roboter der neuen Generation? Mechanische Puppen? Intelligente, lernfähige Wesen? Eine reflektorische Metaebene (Was bin ich?) wäre ja das erste Indiz für ein menschliches Bewusstsein. Davon sind Watson und seine Kollegen noch sehr weit entfernt. Doch das, was sich jüngst auf einer Berliner Kunstbühne zutrug, gibt immerhin Grund zu der Annahme, dass die vorhanden geglaubten Grenzen immer mehr verwischen.

Das KI-Kind eines Berliner Professors – Myon – sollte selbst erlernen und begreifen, was Emotionen sind. Durch Proben an der komische Oper in Berlin. Ein Dirigent sollte ihm beibringen, was Musik ist, wie sie ihre Wirkung entfaltet und wie das Dirigieren an sich funktioniert. So wurde Myon erklärt, dass manche Arien die Menschen zum Weinen bringen. Alle beteiligten Künstler und Darsteller sollten während den Proben zu My Fair Lady immer wieder mit Myon sprechen und ihm erklären, was sie tun, ihn auffordern mitzumachen, ihm ihre Gefühle mitteilen und überhaupt so tun, als gehörte er fest zum Ensemble.

MyonRobot
Das Roboter-Kind Myon lernte gehen, sprechen und sogar singen von der Pike auf. Bildquelle: wikipedia.org

Natürlich war allen Beteiligten klar, dass Myon ein unbeschriebenes Blatt ist und von alldem überhaupt keine Ahnung hat. Dennoch sollte er bei der Uraufführung seinen großen Auftritt bekommen, eine Rolle, die er sich selbst ausgesucht und beigebracht hat: Myon der Roboter sollte in der Oper mitspielen. Bis zum Tag der Aufführung sollte Myon lernen, zu gehen und zu sprechen – im besten Fall auch zu singen. Er sollte das Stadium eines Teil-Spezialisten endlich verlassen!

Sein Entwickler Manfred Hild ist gerade dabei, mit Myon einen Roboter zu erschaffen, der wie ein Mensch funktioniert. Das Kameraobjektiv und die vielen Sensoren sind seine Augen, Ohren und Finger, mit denen er die Welt erfährt. Riechen muss er nicht. Er speichert alle Eidrücke auf einer SD Karte, die in seinem Hinterkopf steckt. Kann er sie auch verarbeiten?
Lange Zeit tat sich nicht viel auf der Probebühne. Myon schaute sich um und studierte seine Umgebung. Einzelne Mitglieder des Ensemble setzten sich ab und an zu Myon und führten persönliche Gespräche mit ihm. Über die Arbeit. Über das Privatleben.

Ähnlich wie bei Watson fußt die Technik von Myon auf neuronalen Netzen und Lernalgorithmen. Solche Algorithmen schreiben von den Programmierern festgelegte Regeln vor, nach welchen Kriterien Wissen zu erwerben ist. Im einfachsten Fall definieren Maßgaben, was als unwichtig und was als wichtig eingeschätzt werden soll. Maßgebend ist: Die KI Myon entscheidet selbst, wohin sie schaut und somit auch was sie lernt.

Schlussendlich hat diese KI gelernt zu hören und zu sehen. Auch das Laufen klappte mehr schlecht als recht. Der Roboter Myon verblüffte nicht nur seinen Schöpfer: Während die Sopranistin und der Tenor ihre Akkorde trällerten, stand Myon auf der Bühne und schwang mit den Hüften. Plötzlich ertönte auch seine Stimme: Sie klang blechern und lärmend. Myon sang zwar schief, aber immerhin: Er sang aus eigenem Antrieb. Für die Dissonanz kann er nichts, daran ist seine bescheidene Soundkarte schuld!
Gegenüber der ZEIT sagte Hild: „Intelligenz ist die Fähigkeit, angemessen zu handeln. Geschafft haben wir das bei Myon, wenn er bei anderen Intentionen erkennen und selbstständig reagieren kann.“

Wann kommt denn nun die Apokalypse?

Intuition, Selbstständigkeit, Lernfähigkeit – das scheinen die wesentlichen Begriffe sein, mit denen die KI-Technik im Verdacht steht, ein neues, vielleicht düsteres Zeitalter einzuleiten. Es wird aber wohl noch etwas dauern, ehe Watson und seine Brüder die (Welt-)Herrschaft an sich reißen. Dennoch: Die kometenhaften Entwicklungen der Robotik und IT werden auch in Zukunft Jobs dezimieren. Nicht nur jene von Ungelernten, Industriearbeitern und Servicekräften, sondern Watson und seine Brüder zeigen ganz klar: Auch die Arbeit von Journalisten, Ärzten und Managern wird in absehbarer Zeit womöglich nicht ohne Supercomputer erledigt werden können. In Zukunft mag es nur einen Redakteur brauchen, der die Artikel seiner Robolisten redigiert. Krankenhäuser werden zunehmend auf ihre Roborurgen setzen. Und warum sollten die Big Players der Finanzindustrie bei wichtigen Richtungsentscheidungen auf einen Manager hören, wenn ihr Roboger den globalen Markt und alle finanziellen Bewegungen in Echtzeit ins Auge fasst? Das, was Watson und co. vollführen, übersteigt nun mal den menschlichen Horizont, oder anders gesagt: die Rechenleistung des menschlichen Gehirns.

Der amerikanische Ökonom Warren Bennis, einer der führenden Autoritäten im Bereich Organisationsentwicklung, orakelte bereits vor einem Vierteljahrhundert: „Die Fabrik der Zukunft wird nur zwei Mitarbeiter haben – einen Mann und einen Hund. Der Mann füttert den Hund, und der passt auf, dass der Mann die Maschinen nicht anfasst.“ Heute würde Bennis wohl eher von Robotern anstatt von Maschinen sprechen!

Allen Warnrufen zum Trotz: Man darf nicht vergessen, dass die von Hawking, Bostrom und Musk aufgestellten Hypothesen auch auf heftigen Gegenwind stoßen. Der Informatikprofessor Andrew Ng aus Stanford, der selbst federführend die KI-Technik erforscht, hält wenig von apokalyptischen Szenarien, in der die Roboter den Menschen überlegen werden. Sinn für Humor hat er zumindest. Andrew Ng zufolge sei die Angst vor einer bösen KI genauso unbegründet wie die Angst, dass der Mars von Menschen überbevölkert werden würde. Die jährlich vergebene Schmähtrophäe des Washingtoner Technologie-Thinktank Itif ging dieses Jahr an „Alarmisten, die eine KI-Apokalypse ankündigen.“ Ironischerweise ist der Luddite Award nach den Maschinenstürmen des 19. Jahrhunderts benannt. Wir wollen hoffen, dass die Jury recht behalten wird.